Santiago Calatrava

Als ich das erste Mal durch Valencias Stadt der Künste und Wissenschaften (oder im Valencianischen:  „Ciutat de les Artes i les Ciències“)schlenderte, konnte ich mich des Gefühls nicht erwehren, hier durch so etwas wie eine zukünftige, futuristisch gebaute Landschaft zu gehen. Ich habe mich seinerzeit nicht wirklich für Architektur interessiert und deshalb war mir auch der Name des Architekten dieses weißen Gebäudeensembles nicht bekannt. Aber mir war klar, dass hier etwas Besonderes erschaffen wurde und das Bauwerke sehr wohl spannende und bewundernswerte Dinge sein können. Später als mein Interesse an Architektur begann, wurde mir der Name Santiago Calatrava schnell ein Begriff, nach dessen Plänen, dieser neue Teil von Valencia geschaffen wurde. Ich kann nicht sagen ob bewusst oder unbewusst, aber ich habe von keinem Architekten mehr Gebäude fotografiert als von ihm  (liegt es daran, dass er dort baute, wo ich hinfahre, oder fahre ich dorthin, wo er baute?). Es ist also mal Zeit, etwas konkreter über Santiago Calatrava und sein Werk nachzudenken.

Leben und architektonischer Stil

Santiago Calatrava Valls stammt von einem alten, spanischen Adelsgeschlecht ab und wurde 1951 in Valencia geboren. Er absolvierte ein Studium der Architektur in seiner Heimatstadt und wechselte dann an die ETH Zürich. Dort studierte er zunächst Bauingenieurwesen und promovierte schließlich in der Schweiz 1981. Er eröffnete bereits ein Jahr vorher sein erstes Büro in Zürich, neun Jahre später eines in Paris und danach auch in Valencia, was er jedoch 2012 wieder schloss. Calatrava lebt heute in der Schweiz und den Vereinigten Staaten von Amerika.

Calatravas Architektur ist stark von einem künstlerisch-ästhetischen Denken beeinflusst, insbesondere von der Plastik. Weniger bekannt ist, dass Calatrava diese auch selbst anfertigt, allerdings selten ausstellt. Er sagte einmal: „Architektur und Skulptur sind zwei Flüsse, in denen dasselbe Wasser fließt.“ Dieses Skulpturenhafte ist Calatravas Architektur innewohnend. Seine Gebäude vermitteln häufig den Eindruck zu Bauwerken gewordene Plastiken geworden zu sein. Daneben fällt auf, dass Calatrava immer wieder versucht, Bewegung und zwar in implizierter und ebenso in realer Ausprägung in und mit seinen Bauwerken darzustellen (als Beispiele für reale Bewegung sei an die drehbare Brücke „Puente de la Mujer“ in Buenos Aires verwiesen oder auch Milwaukee Art Museum, das quasi seine Flügel ausschlagen kann).
Santiago Calatravas Bauten versuchen Kunst, Architektur und Technik zu vereinen und sie nicht, als etwas Gegensätzliches zu betrachten. Er denkt die Arbeit von Ingenieuren als die Kunst des Möglichen und sucht nach einer neuen Formensprache, die auf technischem Wissen basiert und doch keine reine Hymne auf die Technik sein soll. Vom Schweizer Brückenbauer und Ingenieur Robert Maillart, den man als eine Inspirationsquelle Calatravas nennen kann, nahm er auf, dass technische Neuerungen auch neue elegante Lösungen ermöglichen. Zwar geht es Calatrava weniger als Maillart um technische Innovationen, aber die konstruktive Offenbarung und der plastische Ausdruck sind beim Spanier verflochten miteinander, zu einer Synthese von Ästhetik und konstruktiver Physik. Sergio Polano spricht in diesem Zusammenhang von der „gotischen Osteologie“, die ein wichtiger Motor in Calatravas Arbeiten ist, daher vom Sichtbarmachen von Tragen und Lasten im Traggerüst ganz wie in gotischen Bauten. Seine Bauten bemühen sehr gern das Sakrale, das die rein funktionale Lösung übersteigt und einen Hang hat, Erstaunen, Bewunderung und Ehrfurcht beim Betrachter und Nutzer auszulösen. So wird er immer wieder beauftragt, funktionale Bauwerke zu kreieren, die gleichzeitig Wahrzeichen und symbolischer Ausdruck für Städte oder Regionen seien sollen, sei es nun in der Stadt der Künste und Wissenschaften, die seiner Heimatstadt Valencia ein neues, futuristisches Gesicht geben soll, beim Bahnhof Lyon Saint-Exupéry, der als Eingangstor der Region Rhône-Alpes konzipiert ist oder beim Auditorium in Santa Cruz de Tenerife, das zu einem architektonischen Wahrzeichen der Kanaren wurde.
Calatravas elegante Formensprache ist zumeist in der Farbe weiß gehalten. Auffallend ist dabei seine Bevorzugung von weißen Kacheln. Wiederkehrend ist ebenfalls seine Aufnahme von natürlichen Strukturen, wie Blattwerken, Skeletten oder Flügeln, was seinen Stil einzigartig macht und einen hohen Wiedererkennungswert hat.

Kritik

Allerdings wird bei Calatravas Bauten immer wieder Kritik laut. Am deutlichsten wird diese, bei den teilweise enormen Summen, die seine Bauwerke kosten. Jüngstes Beispiel dafür ist der New Yorker U-Bahnhof am Ground Zero, der rund 4 Milliarden (!) Dollar gekostet hat, obwohl es sich dabei nur um den 18. frequentiertesten Metrobahnhof der Stadt handelt. Sicherlich muss dabei die schwierige (geografische) Bauaufgabe ebenso zur Erklärung einbezogen werden, wie die Tatsache das spektakuläre Wahrzeichen bzw. Symbole eben erhebliche Geldsummen kosten (siehe hier: ein Bericht in der FAZ). Gleichzeitig kann man aber festhalten, dass Calatravas Bauten eines sicherlich niemals verkörpern: Bescheidenheit. So kommt man auch nicht darum herum, die von ihm geplante Ciutat de les Artes i les Ciències in Valencia, als wenigstens einen Tick zu ambitioniert, zu bezeichnen. Ein paar Beispiele sollen das verdeutlichen. Ob die drittgrößte Stadt Spaniens das größte Opernhaus Europas, den „Palau de les Artes Reina Sofia“, benötigt ist umstritten aber die Frage, warum unbedingt ein fast unbenutztes Veranstaltungsgebäude wie das „Agora“ einem ohnehin kostenintensiven neuen Stadtteil angefügt werden musste, warum also der künstlerische Anspruch des Gesamtwerkes über die tatsächliche Nützlichkeit für die Stadt gestellt wird, ist sicherlich nicht wegzudiskutieren. Dabei ist natürlich nicht nur der Architekt zu kritisieren, denn dieser wird sich naturgemäß freuen, wenn seine Vision realisiert wird (wobei gefragt werden sollte, ob es nicht schon eine Fehlleistung ist, Entwürfe vorzulegen, die dem urbanen und finanziellen Rahmen wenn nicht sprengen, so doch erheblich dehnen). Am Beispiel von Valencia darf man sicherlich auch fragen, warum die ohnehin schon klamme Stadtkasse von der hiesigen Stadtregierung nicht geschlossen wurde zumal die ersten Entwürfe für den Stadtteil wesentlich kleiner ausgefallen waren (siehe Polano 1997; S.210ff) Calatrava scheint ideal zu Bauherren zu passen, die sich, in Erinnerung an römische Cesaren und ihren Bauten für die Nachwelt, ein fassbares Monument ihrer Regierungszeit setzen wollen. Denn es ist, neben der ästhetischen Begeisterung bei der Ciutat de les Artes i les Ciències und anderen Bauten von Calatrava, eben auch jener  Eindruck, das Monumentale, Spektakuläre und Symbolhafte zu schaffen und deren urbane Funktionalität dahinter anzuordnen. Erstaunlich ist das Calatrava erst recht spät in den neuen aufstrebenden Boomregionen der Architektur, den Golfstaaten und China, Bauwerke verwirklicht, sind diese doch an eben solchen Ausdrucksformen nicht uninteressiert und vor allem sehr potente Geldgeber. In letzter Zeit wendet er aber auch hier sein können an, so bei dem gigantischen Projekt für den höchsten Turm der Erde, der in Dubai entstehen soll: (siehe hier ein Video aus: faz.net). Trotz aller Kritik sind seine Bauten aber sehr sehenswert, von einem ganz eigenen Stil geprägt und nach dazu äußerst fotogen, was im folgenden Abschnitt gezeigt werden soll.

Ausgewählte Werke nach Gattungen:

Santiago Calatrava hat ein umfangreiches Werk vorzuweisen, dass sich nicht auf einen Gebäudetyp konzentriert. Bemerkenswert ist aber die Vielzahl von Brücken, die aus seiner Hand stammen. Allein Valencia zählt drei Überführungen von ihm, insgesamt sind es wohl über 60. Besonders seine immer wieder innovativen Lösungen für Überquerungen haben hohe Aufmerksamkeit erfahren. Immer wieder sucht Calatrava dabei neben einer funktionalen auch eine hochwertige ästhetische Lösung anzubieten, die seine Brücken zu symbolischen aber auch poetischen Objekten machen. Calatrava entwirft aber auch Hochhäuser, Veranstaltungsgebäude oder Bauwerke des Transits, wie Bahnhöfe oder Flughafenterminals. Einige Beispiele werden hier gezeigt, diese werden nach Bautypen gegliedert und nicht nach dem Zeitpunkt des Entstehens.

Literatur:

Die Beschreibung zu  Calatravas Architekturstil ist teilweise übernommen aus dem Buch: „Calatrava“ von Philip Jodido, das zum tieferen (allerdings kritiklosen) Verständnis seiner Arbeit hiermit empfohlen wird, die Zitate stammen ebenfalls aus diesem Werk: Philip Jodidio (2007) “Calatrava“; Taschen
Einen interessanten und umfänglichen Einblick in sein frühes Schaffen bietet: Sergio Polano (1997) „Santiago Calatrava. Gesamtwerk“; Deutsche Verlagsanstalt
Speziell über Caltarvas Brücken referieren: Alexander Tzonis, Rebeca Caso Donadei (2005) „Santiago Calatrava. The Bridges”