Geschichte Warschaus

Wie bei vielen Städten in Mittelosteuropa reicht Warschaus Geschichte nicht so weit in die Vergangenheit, wie man es bei mediterranen Orten findet. Nichts desto trotz ist es eine bemerkenswerte Historie, die die Stadt an der Weichsel aufzeigen kann. Der folgende Text gliedert sich in mehrere Abschnitte:
Von der ersten Siedlung um Warschaus bis zur Gründung der NeustadtWarschau – Hauptstadt immer größerer GebieteBlütezeiten, schwedische Sintflut und unglückliche SachsenzeitPoniatowskiWarschau in Kongreßpolen und Rußland Warschau im 1.Weltkrieg und als Hauptstadt eines unabhängigen Polens sowie die Tragödie des 2.WeltkriegsWarschau im Ostblock und heute

Von der ersten Siedlung um Warschaus bis zur Gründung der Neustadt

Im 9. Jahrhundert wurde erstmals eine Siedlung mit Wallburg in dieser Gegend errichtet, aber schon im 11. Jahrhundert wieder aufgegeben. Eine weitere Ansiedlung war Jazdów, dass 1262 von den Litauern zerstört wurde, woraufhin die Bewohner mit frischen Mut eine neue Siedlung auf dem Gebiet der heutigen Altstadt errichteten. Auch der Herzog von Masowien (der Region in welcher Warschau liegt) ließ hier ein Schloss errichten, wobei sein Hauptsitz in Płock verbleib, einer Stadt rund 100km stromabwärts der Weichsel. Zwischen 1281 und 1321 wurde Warschau dann zum ersten Mal urkundlich erwähnt, allerdings existiert diese Urkunde nicht mehr (was dann auch die Unklarheiten mit den Jahreszahlen erklärt). Im Jahr 1334 bekam Warschau das Stadtrecht nach Kulmer Recht (im Mittelalter wurden Städten und deren Bewohner unterschiedliche Rechte zu teil, die jeweilige Rechtsform wurden dann nach Städten benannt, welche diese Rechtsform schon länger hatten). Im Laufe des 14. Jahrhunderts entstanden zahlreiche Gebäude in der Altstadt, so auch die gotische Johanniskathedrale und das spätere Königsschloss. 1350 wurde ein erster Mauerring um die Stadt gezogen, 30 Jahre später schon ein Zweiter, was das Wachstum des Ortes deutlich macht. In diese Zeit fällt auch die Gründung der nördlich gelegenen Neustadt, die 1408 zur Stadt erhoben wurde.

Warschau – Hauptstadt immer größerer Gebiete

1413 wurde Warschau die Hauptstadt das masowischen Herzogtums Czersk. Die Stadt profitierte weiterhin von der strategisch günstigen Lage zwischen Wilna und Krakau, den beiden Hauptstädten der polnisch-litauischen Union, wobei das Herzogtum Czersk-Warschau erst 1526 an Polen fiel (durch das Aussterben der Herrschaftslinie, dessen Ableben gerüchteweise auf Geheiß der polnischen Königin erfolgte). Doch die Eingliederung nach Polen brachte Warschau weiteren Aufschwung, denn König Sigismund I. gestand dem Bürgertum der Stadt zahlreiche Handelsprivilegien zu. Nach der Eroberung des Weichseldeltas durch Polen erhöhte sich die Bedeutung Warschaus nochmals, da der Fluss nun als Handelsweg besser genutzt werden konnte. Die Stadt gewann zunehmend auch größeren Einfluss in der Politik. Das polnische Parlament Sejm sollte ab 1569 in Warschau tagen, außerdem sollte der König Polens zukünftig vor den Toren der Stadt, in Kamion bzw. Wola gewählt werden. Immer mehr politische Institutionen gingen von Krakau nach Warschau über und 1596 entschloss sich Sigismund III. Wasa, nach dem Brand im Krakauer Wawel mit seiner Residenz komplett nach Warschau umzuziehen, was auch damit zu tun hatte, dass er auch gleichzeitig König von Schweden war und ebenso Ambitionen auf den Thron im Moskau hegte und Warschau dafür strategisch sehr günstig lag. Der eigentliche Umzug dauerte aber einige Zeit und wurde erst 1611 vollzogen. Hauptstadt blieb aber Krakau, da es keinerlei rechtliche Dokumente gab, die diese neue Rolle bestätigten. So blieb Warschau offiziell bis 1795 nur die Rolle als Königssitz.

Blütezeiten, schwedische Sintflut und unglückliche Sachsenzeit

Das alles tat aber der Blüte der Stadt keinen Abbruch. Schon im 16. Jahrhundert war die Stadt weit über die alten Stadtmauern hinaus gewachsen und zählte 50.000 Einwohner auf beiden Seiten der Weichsel. Zwischen 1568 und 73 entstand eine erste Brücke über den Fluss, 1548 erhielt Praga, der östlich gelegene Teil der Agglomeration Stadtrecht. Zahlreiche neue Paläste bereicherten das Stadtbild, da der Adel dem königlichen Hof nahe sein wollte und entsprechende Residenzen benötigte. König Sigismund Wasa III. ließ unterdessen die königlichen Schlösser in barocker Aufmachung umbauen. Auch kulturell erstrahlte die Stadt, so wurde beispielsweise schon 1661 die erste polnische Tageszeitung herausgebracht. Warschau war damals eines der führenden Zentren in Europa (auch weil große Teile Mitteleuropas noch Jahrzehnte unter den Folgen des 30-jährigen Krieges litten). Einen heftigen Rückschlag erlebte die Stadt durch den zweiten nordischen Krieg 1655 bis 57, als große Zerstörung die Stadt in weiten Teilen zerstörte. Die Jahre gelten in der polnischen Geschichtsschreibung als die „schwedische Sintflut“. Mit Jan Sobieski, der ab 1674 den Thron bestieg folgte aber eine neue Blütezeit. Unter dem Kunstmäzen wurde der Wilanow Palast im Süden der Stadt im Versailler Stil erbaut. Seiner Herrschaft folgte die sächsische Epoche, die man in Polen nicht in bester Erinnerung hat. Die sächsischen Kurfürsten, August II. und später August III. regierten neben ihrem wettinischen Stammland, auch Polen wurden aber in Kriege gezogen, aus denen sie nicht glücklich herauskamen (als Sachse ist man das gewohnt) und die zahlreiche Verwüstungen hinterließen. Jedoch fällt in diese Zeit der Bau der sächsischen Achse, die senkrecht zum Königsweg angelegt wurde und Palais und Gärten beinhaltete. 1740 entstand das Collegium Nobillium, der Vorläufer der Universität, die 1817 gegründet wurde. 1748 wurde die Warschauer Oper gegründet.

Poniatowski

Mit der Herrschaftsübernahme von Stanislaus August Poniatowski 1764 endete die Sachsenzeit und Warschau erlebte eine neue Phase des Aufschwungs. Der aufgeklärte Monarch ließ die Stadt zu einem Zentrum des Klassizismus werden. In seiner Zeit soll Warschau bereits mehr als 120.000 Einwohner gehabt und damit zu den größten Städten Europas gezählt haben. Stanislaus führte das Neue Staatstheater ein, ließ Straßennamen und Hausnummer vergeben (eine damalige Innovation), erließ ein weltweit erstes Bildungsministerium und ließ am 3.Mai 1791 die erste moderne Verfassung Europas verabschieden. Polen führte dies jedoch in die außenpolitische Krise und das wiederum führte zur 2. Polnischen Teilung um 1793 und nach schlimmen Massakern und Schlachten 1795 zur 3. Polnischen Teilung und zur Zerschlagung des Landes. 1796 besetzten preußische Truppen Warschau und machten es zur Hauptstadt der Provinz Südpolen. Viele Menschen verließen die Stadt und um 1800 soll Warschau weniger als 100.000 Einwohner gehabt haben.  1807 wurde im Frieden von Tilsit das Herzogtum Warschau gegründet, eine Art polnischer Rumpfstaat unter napoleonischer Protektion. Der „Code Civil“, also ein bürgerliches Gesetzbuch das von den Werten der französischen Revolution getragen ist, trat in Kraft und die polnische Sejm, daher das Abgeordnetenhaus, setzte sich wieder in Warschau zusammen. Symbol des Herzogtums wurde General Josef Antoni Poniatowski (ebenfalls aus der Poniatowski Dynastie stammend), der Oberbefehlshaber der Armee, die an französischer Seite kämpfte. Poniatowski verlor bei der Völkerschlacht bei Leipzig sein Leben und wurde in Warschau mit einem Staatsbegräbnis bedacht. Der Wiener Kongress, der nach der Niederlage Frankreichs und seiner Verbündete Europa neu aufteilte, änderte erneut die Machtverhältnisse. Das Herzogtum Warschau wurde aufgelöst und das Königreich Polen gegründet, dass aber vom russischen Zaren regiert wurde und in der Geschichte als Kongresspolen bezeichnet wird. Die Exekutivmacht hatte Großfürst Konstantin, ein Bruder des Zaren. Kongresspolen war es erlaubt eine recht liberale Verfassung zu benutzen.

Warschau in Kongreßpolen und Rußland

Wirtschaftlich folgten Zeiten des Aufbruchs. Die erste ständige Wertpapierbörse Polens wurde 1817 in Warschau gegründet. In jene Zeit fällt die erste Industrialisierungswelle in der Stadt und kulturell wurde beispielsweise 1825 mit dem Bau des großen Theaters begonnen. In jener Zeit lebte Frédéric Chopin, einer der berühmtesten Söhne der Stadt in Warschau. Nachdem Novemberaufstand musste er 1831 nach Paris fliehen. In jenem Aufstand im vorletzten Monat des Jahres 1830 wand sich die Bevölkerung gegen den zunehmend autoritär regierenden Großfürsten Konstantin, welcher aus der Stadt vertrieben wurde. Nach über einem Jahr Krieg mussten sich die aufständischen Polen jedoch der russischen Armee geschlagen geben. Neben Chopin flohen über 30.000 Menschen Richtung Westeuropa. Die dagebliebenen mussten mit strengen politischen Repressalien leben. Jedoch stoppte das den wirtschaftlichen Aufschwung nur wenig. 1840 wurde die erste Eisenbahnverbindung gebaut, schon bald darauf bestand eine Verbindung mit Wien. An jener Linie lag auch Lodz, dass in jenen Jahren einen rasanten Aufstieg erlebte. Die 80km südwestlich von Warschau gelegene Stadt wurde zur Textilmetropole Mitteleuropas. Das endgültige Ende Kongresspolens kam in der Nachfolge des Januaraufstandes 1863, welcher nach fast zwei Jahren Ende 1864 aufgegeben werden musste. Russland löste Polen auf und verleibte sich das Gebiet komplett ein. Warschau wurde dadurch zur drittgrößten Stadt Russlands (nach Moskau und St.Petersburg). Interessanterweise führte aber auch diese politisch sehr unangenehme Entwicklung zu weiterer wirtschaftlicher Blüte, da nun alle Zollschranken zu Russland fielen. Westlich der Königsstraße entstanden neue Häuser des Bürgertums, 1908 wurde die erste elektrische Straßenbahn eröffnet und zahlreiche Kultureinrichtungen wie die Philharmonie wurden errichtet. Intelektuelle wie Marie Sklodowska-Curie wohnten in der Stadt (wenngleich Curie Warschau verließ, weil sie als Frau hier nicht studieren konnte). Um nur ein paar andere weitere Beispiele zu nennen: Rosa Luxemburg wuchs in Warschau auf, der Literaturnobelpreisträger Henryk Sienkiewics wirkte hier ebenso wie der Tenor Jan Kiepura oder der Autor Joseph Conrad. Warschau konnte sich um die Jahrhundertwende auch einer großen jüdischen Gemeinde erfreuen. Über ein Drittel der Warschauer waren Juden.

Warschau im 1.Weltkrieg und als Hauptstadt eines unabhängigen Polens sowie die Tragödie des 2.Weltkriegs

Im 1.Weltkrieg wurde das russische Warschau von deutschen Truppen besetzt. Die Besatzer errichteten ein provisorisches Königreich mit der Aussicht einen späteren unabhängigen polnischen Staat zu gründen. Die siegreichen Westmächte unterstützen nach dem Ende des 1.Weltkrieges diesen Plan. Doch bevor dieser umgesetzt werden konnte sah sich Polen in einen Krieg mit Sowjetrussland versetzt. 1920 stand die Rote Armee vor Warschau, verlor aber trotz großer Überlegenheit eine zentrale Schlacht an der Weichsel gegen die polnische Armee unter Marschall Piłsudski. Polen warte seine Unabhängigkeit und seine Hauptstadt Warschau blühte in den 1920er Jahren weiter auf. Doch neben der kulturellen Blüte gab es ebenso politische Unruhen. Das alles verhinderte aber nicht den weiteren Ausbau der Stadt mit neuen Bus- und Straßenbahnverbindungen und dem Anlegen des ersten polnischen Flughafens. Kurz vor Ausbruch des 2. Weltkrieges hatte Warschau bereits 1.350.000 Millionen Einwohner. Als Hitler-Deutschland schließlich am 1.September 1939 Polen angriff, verschanzte sich die polnische Armee in der Hauptstadt, während diese von deutscher Artillerie beschossen wurde. Zehntausend Menschen sollen dabei ihr Leben verloren haben, 10% der bebauten Stadtfläche wurden schon in diesen ersten Kriegstagen zerstört. Doch alles kam noch weitaus schlimmer. Am 28. September marschierte die Wehrmacht in Warschau ein, womit eine fünfjährige Besatzungszeit begann. Ab November 1940 wurde die jüdische Bevölkerung der Stadt und der Umgebung in ein extra angelegtes Ghetto gesperrt. Das 3,1km² große Gebiet, westlich der Altstadt gelegen beherbergte in mancher Zeit 450.000 Menschen. Letztendlich diente es als Sammellager, um die Menschen weiter ins KZ Treblinka zu befördern und dort zu töten.
International bekannt wurde das Ghetto Warschau durch den Aufstand vom 19.April bis zum 16.Mai 1943. Seit 1942 wurde durch die Ermordung der jüdischen Bevölkerung das Warschauer Ghetto immer kleiner. Die verbliebenen restlichen rund 30.000 Bewohner beschlossen, den sicheren Tod vor Augen, bewaffneten Wiederstand gegen die SS zu leisten, welche die Aufgabe hatte, das Ghetto zu liquidieren. Der Aufstand dauerte mehrere Wochen und wurde niedergeschlagen. Das Ghetto wurde vollständig niedergebrannt, nur sehr wenigen jüdischen Kämpfern gelang die Flucht, alle anderen wurden an Ort und Stelle erschossen oder ins Gas von Treblinka geschickt.
Etwas mehr als ein Jahr später begann am 1.August 1944 der Warschauer Aufstand. Fast die gesamte verbliebene Stadtbevölkerung Warschaus kämpfte an der Seite der polnischen Heimatarmee mit dem Ziel die deutschen zu vertreiben, gleichzeitig aber auch die Übernahme durch die Rote Armee zu verhindern. Diese verweigerte den Aufständigen Unterstützung womit dieser am 2.Oktober zusammenbrach. 200.000 Menschen verloren bei diesen Kämpfen ihr Leben, die Wehrmacht reagierte mit größtmöglicher Brutalität und Destruktion. Fast alle Gebäude der Stadt an der westlichen Weichselseite (also der weitaus größeren) wurden zerstört. Als am 17. Januar endlich die Rote Armee in die Stadt einmarschierte, fanden sie lediglich ein unbewohntes Trümmerfeld vor.

Warschau im Ostblock und heute

Sehr schnell wurde nachdem Krieg ein sowjetfreundliches Regime etabliert. Eine der ersten Beschlüsse war Warschau detailgetreut wieder aufzubauen. Die Altstadt, die Neustadt und die Krakauer Vorstadt wurden ab 1946 bis 1953 in einer historischen Rekonstruktion wieder errichtet und letztendlich 1980 als Weltkulturerbe der UNESCO ausgezeichnet, was bisher nie wieder für eine Rekonstruktion geschah. Die Aufbauarbeiten stellen bis heute weltweit die größte geplante Rekonstruktion einer Bebauung dar. Für den Wiederaufbau wurden insbesondere Arbeiten des Malers Bernardo Bellotto, besser bekannt als Canaletto, zu Rate gezogen. Auch wenn 1970 das Königsschloss ebenso wieder errichtet wurde und bis heute weitere historische Gebäude (wie  der brühlsche und der sächsische Palast) wieder hergestellt werden sollen, bleibt die Stadt Warschau vor 1939 unwiederbringlich verloren. Viele neue Stadtteil entstanden im Stil der Moderne sozialistischer Prägung. Das sicherlich auffallendste Bauwerk dabei war der 1955 vollendete Kulturpalast. Das damals zweithöchste Gebäude Europas war ein Geschenk der Sowjetunion, wurde von den Warschauern allerdings nie wirklich geliebt. Warschau wurde auch Namensgeber des Warschauer Paktes, welcher als osteuropäisches Gegenstück zur NATO hier 1955 gegründet wurde. Nicht zu vergessen ist auch der Kniefall des damals regierenden westdeutschen Bundeskanzlers Willy Brandt am 7. Dezember 1970 vor dem Denkmal  des Ghettoaufstandes, der international sehr beachtet wurde, für den Brandt aber in konservativen westdeutschen Kreisen heftig kritisiert wurde. 1979 besuchte der Papst Warschau, es war der erste Besuch von Johannes Paul II. in seinem Heimatland in der Funktion als Oberhaupt der katholischen Kirche. Die Begeisterung der Polen für ihn ist heute, lang nach seinem Tode, noch ungebrochen. Mit der Gründung der freien Gewerkschaft Solidarność 1980 begann in Polen der politische Umbruch, der 1989 in den ersten freien Parlamentswahlen im Ostblock mündete.
Seit jener Zeit wächst die Stadt vor allem in die Höhe und beschert der Hauptstadt Polens eine der in Europa eher seltenen Hochhausskylines. Ebenso wurde 1995 die U-Bahn eröffnet. Heute ist Warschau das uneingeschränkte politische und wirtschaftliche Zentrum des Landes. Im Jahr 2002 ist es administrativ wieder eine einheitliche Stadt, nachdem es vorher verwaltungstechnisch nur als Ansammlung von unabhängigen Gemeinden in einem losen Kommunalverband bestand. Noch immer sind die Spuren des Krieges deutlich zu sehen, aber überall in der Stadt hat man das Gefühl, das fleißig an der Zukunft der Stadt gebaut wird.