Cullera

Die spanische Levanteküste ist ein eigenwilliger Platz. Nähert man sich vom Lande aus , so erkannt man das Meer nicht etwas an der blauen Weite, die sich irgendwann mit dem Horizont vermischt, sondern man sieht als erstes Hochhäuser und man weiß, kurz hinter diesen Urlaubsburgen kommt das Meer. In den meisten Fällen ist hier, in den letzten 60 bis 70 Jahren, die Küstenlandschaft radikal umgestaltet worden. Eine früher von Dünen, Lagunen, kleinen und verarmten Fischerdörfern sowie einsame Felsen beherrschte Gegend wurde seit den späten 1950er Jahren von einem wahren Tsunami des Bauens überschwemmt. Die Folge sind die heutigen Hochhaussiedlungen, die sich vom direkten Strandzugang bis ins Hinterland ziehen. Nur sehr wenige Fleckchen sind von dieser Welle nicht erfasst wurden. Doch trotz der historischen Kürze der Zeit und der Tendenz schnell und viel und nicht unterschiedlich und innovativ zu bauen kann man nicht sagen, dass diese Küstenorte alle gleich wären, wenngleich man dies auf den ersten Blick nicht annehmen würde.

Auch Cullera hatte einmal eine einsame Bucht, die Bahia de los Naranjos (Orangenbucht), die geschützt hinter dem Hausberg der Stadt lag, welcher diesen Küstenabschnitt umrahmte und ein kleines Kap schuf. Berg und Bucht bildeten so etwas wie eine markante Landmarke, denn es wirkt ein wenig wie eine Durchbrechung einer klaren Linie, die südlich von Valencia Land und Wasser trennt und sich bis zum Kap Sant Antoni, welches rund 50km südlich von Cullera hinter Denia befindet. Der eigentliche Ort Cullera jedoch lag nie am Meer, sondern etwas flussaufwärts, kurz vor der Mündung des Xuquer (oder auf Spanisch:  Júcar) Flusses ins Mittelmeer.
Schon in der Antike war der Ort des heutigen Städtchens bereits besiedelt. Historisch relevant ist, das 1231 Jaume I. die Burg am Hang des Felsens gründen ließ. Ein wichtiger Grund, war die strategisch höchst interessante Lage, die zwischen Mauren und Christen häufig umkämpft war. Ein Zeugnis der mittelalterlichen Seeräuber ist nicht nur die Cova de Dragut, in welcher eine eher für Kinder unterhaltsame Führung geboten wird, sondern insbesondere der Torre del Marenyet, ein Wachturm aus dem 16. Jahrhundert, der die Küste vor Piratenangriffen schützen sollte.
Das heutige Cullera wird nicht mehr von dem kleinen Städtchen geprägt, das unterhalb einer Burganlage und des Klosters liegt und das tatsächlich ein paar versprengte Jugendstilhäuser und wenige reizvolle Gassen hat. Viel imposanter ist die mehrere Kilometer lange Hochhausreihe die sich in das schmale Stückchen Land zwischen Meer und Fels geschoben hat und die dem Ort, seine heutige Skyline gibt. Leider wird auch hier noch weitergebaut und immer mehr Häuser werden auf dem angrenzenden Felsenberg errichtet, ob dieser Bauboom erst aufhört wenn auch der letzte m² des Cullera-Berges verbaut ist, lässt sich nicht voraussagen, ist aber nicht zu hoffen.
Wie eben schon erwähnt, reihen sich die künstlichen Badeorte an der Costa Azahar am Strand entlang auf. Zweifellos ist diese Monotonie auch betrüblich und ein Beispiel dafür, wie sehr Massentourismus in eine reizvolle Landschaft eingreifen kann. Aber es wäre falsch davon auszugehen, dass nur ewig Gleiches hier zu finden wäre. Jeder dieser Orte hat eine eigene Atmosphäre. Um ihnen Beispiele zu geben: Benidorm ist so etwas wie die Hauptstadt und Hochhaus-Metropole mit den vielen ausländischen (zumeist britischen) Besuchern, Denia ist das scheinbar letzte verbliebene verträumte Hafenstädtchen mit den besten Restaurants der Küste, Gandia ist der Tummelplatz für partybegeisterte Jugendliche und Cullera?
Cullera ist ein bisschen von allem. Ähnlich wie Gandia lag die eigentliche Stadt nicht am Meer. Mittlerweile sind aber die Altstadt und die Neustadt am Meer miteinander verschmolzen. Trotzdem gibt es Monate, wo man beide Teile problemlos voneinander trennen kann, denn die Hochhäuser, die sich an der Promenade aufreihen sind von Oktober bis Mai fast unbewohnt.  Die Nähe zum alten Ortskern jedoch hat dazu geführt, das in letzter Zeit vermehrt ganzjährig in den Hochhäusern der ersten Linie (die „primera linia“ ist die spanische Bezeichnung für Häuser die direkt am Strand liegen und wo kein anderes Bauwerk mehr den Blick auf das Wasser versperrt) vereinzelt Menschen wohnen. Zu Ostern fegt dann das erste Mal der Besucherstrom über Cullera, die Restaurants auf der Promenade öffnen und die ersten Souvenirläden bieten die ewig gleichen Schnäppchen an, während die kleinen Waffelbäcker schon wieder erste Kalorien-Ignoranten begrüßen.  An den Wochenende im Mai und Juni kehrt dann wieder das normale quirlige Leben in die Bars und Restaurants zurück, die dann auch abends wieder öffnen. Hochsaison ist Juli und insbesondere August, wenn auf der Promenade die Menschen dicht an dicht aneinander vorbeilaufen, bis spät abends noch Kinder am Strand spielen, die afrikanischen Händler ihre nachgemachten Designertaschen, DVDs oder Klamotten verkaufen, die verloderten Parkplätze hinter den Hochhäuser stauben und jede Lücke wie ein Glücklos erscheint, der Ansturm auf die guten Plätze in den Bars und Restaurants beginnt und sich vereinzelte Jogger ihren Weg durch die Menschenmassen bahnen, da wirkt Cullera nicht mehr nur wie ein Städtchen von knapp über 20.000 Einwohnern, sondern wie eine kleine Urlaubsmetropole. Schon in den 1980er Jahren hatte die Stadt eine Übernachtungskapazität von 100.000 Menschen. Anders als in den weiter südlich gelegenen Orten hat Cullera vergleichsweise wenige ausländische Touristen. Wenn dann verlieren sich einige Franzosen hierher. Dafür gibt es viele Einheimische, die aus der Region Valencia hier ihren Sommer verbringen, aber auch viele Madrilenen, für die Cullera eine der am schnellsten zu erreichenden Küstenorte ist. Sie bilden ein Gemisch an Menschen, das anders als in Gandia recht familienorientiert ist, ungleich zu Denia aber auch weit weniger begütert erscheint und auch wenn man sieht, dass hier nicht die wohlhabendsten Spanier Urlaub machen, so bleibt Cullera doch irgendwie sympathisch.