Punta Arenas
123.401 Einwohner | 42km² | südlichste Großstadt der Welt | Hauptstadt der Region Magallanes y de la Antártica Chilena | 247 km SO von Puerto Natales | 2119 km LL SSO von Santiago de Chile | 261km SW von Rio Gallegos
Der tiefe Süden der Welt ist ein magisch aufgeladener Ort, der allein deshalb schon seinen Reiz zieht, weil er gerade für Europäer das andere Ende unseres Planten darstellt. Da macht es sich gut, wenn man dieses Extrem noch etwas aufladen kann. So sind zahlreiche Orte damit beschäftigt sich als „Ende der Welt“ darzustellen, oder auch als südlichste „Stadt der Welt“. Punta Arenas in Chile ist mit ziemlicher Sicherheit nicht die südlichste Stadt der Welt, aber sie ist die südlichste Großstadt unserer Erde mit immerhin 123.000 Einwohnern. Vergessen wird dabei aber auch gern, das Punta Arenas auf der Brunswick Halbinsel liegt, die noch zum südamerikanischen Festland gehört und nicht, wie alle anderen Kandidaten auf den Inseln Feuerlands. Vergleicht man weiterhin die Stadt mit dem argentinischen Ushuaia, was nur rund 250km Luftlinie, aber 630km Straße entfernt ist, so ist Punta Arenas der weitaus urbanere Ort. Kein wildzusammengewürfelter Pionierbaukasten, sondern eine gefällige Stadt, an der hier sehr weiten Magellanstraße.
Gegründet wurde Punta Arenas erst am 18.Dezember 1848. Die Besiedlung der Gegend hat jedoch eine weitaus längere Geschichte, selbst wenn man die eigentlichen ersten Siedler, die indigenen Völker ignoriert, die allerdings auch Nomaden waren und keine festen Ortschaften aufbauten. 60km südlich von Punta Arenas gründete Pedro Sarmiento de Gamboa 1584 die Siedlung Rey Don Felipe. Er arbeitete im Auftrag der Spanier, welche nicht zuletzt durch die Fahrten des Briten Francis Drake in der Gegend aufgeschreckt waren. Sarmiento sollte versuchen, dass von Spanien als rechtmäßiges Eigentum angesehene Territorium im fernen Süden zu kolonisieren und damit für die Krone zu schützen. Das Unternehmen war breit angelegt. Der spanische König Philipp II. ließ eine Flotte von 24 Schiffen auslaufen, die rund 2.500 Mann Besatzung über den Atlantik trugen. Doch die Expedition stand unter keinem guten Stern. Mit Sarmiento war Diego Flores Valdez gleichrangig als Kommandant der Flotte eingeteilt, beide gerieten aber in Streit. Stürme ließen acht Schiffe sinken und Valdez schließlich fuhr mit zwölf Schiffen zurück nach Spanien, während Gamboa mit nur vier Schiffen die Magellanstraße erreichte und dort am atlantischen Eingang der Straße in Punta Dungeness eine Siedlung namens Nombre de Jesús erbauen ließ. Später wurde weit westlich davon Rey Felipe gegründet. Nach ersten Arbeiten segelte Gamboa von dort zurück nach Nombre de Jesús, um weitere Hilfe beim Aufbau zu organisieren. Er kam jedoch in einen Sturm der ihn weit abbrachte und er entschloss sich nach Europa zurück zu kehren, wo er aber nicht in Spanien ankam, sondern erst in britische Gefangenschaft gelangte. Währenddessen hatten die Kolonisten noch größere Probleme, denn die widrigen Bedingungen ließen die Nahrungssuche immer schwieriger werden und so verhungerten fast alle Siedler in den neuen Siedlungen. Als 1587 der Brite Thomas Cavendish in der Magellanstraße segelte, bemerkte er die Aufbauten von Rey Felipe, wo er aber nur 300 verhungerte Menschen auffand und nannte den Ort fortan „Port Famine“, (auf Deutsch: Hunger-Hafen). Dessen Name hat sich auf Spanisch bis heute erhalten: „Puerto del Hambre“. Sarmientos Plan war gescheitert.Die Besiedlung des rauen Südens durch ehemalige Europäer war kein einfaches Unterfangen und nahm viele Jahrhunderte in Anspruch. Als sich 1818 Chile unabhängig machte, lag Patagonien und erst Recht Feuerland, in einer Art Niemandsland, dass so verlassen war (natürlich unter der Maßgabe der damaligen Zeit, die Ureinwohner nicht mitzurechnen, aber selbst mit ihnen war es hier noch leer), dass es niemanden zu gehören schien. So setzte der neue Staat Chile darauf, sich die südlichen Territorien einzuverleiben. Eine gewisse Eile war auch geboten, denn sowohl Briten, als auch Franzosen zeigten Interesse ihr jeweiliges Imperium hier zu erweitern und natürlich wollte auch der Nachbar Argentinien seinen Teil. Von der Insel Chiloé am Pazifik aus, sendete Chile den Schoner Ancud nach Süden und nach vier Monaten Reise landete dieser am 23. September 1843 auf der Halbinsel Brunswick an der Magellanstraße. Kapitän John Williams Wilson und seine 23-köpfige Crew nahmen die Region offiziell für Chile in Besitz. Einen Monat lang suchte man nach einem geeigneten Ort, um eine Siedlung zu gründen, damit die Ansprüche manifestiert werden konnten. Letztendlich war die Suche nicht wirklich erfolgreich und man kehrte an den ersten Anlandungspunkt zurück und errichtete dort Fuerte Bulnes. Bald stellte sich jedoch heraus, dass die neue Siedlung geografisch und klimatisch wenig überzeugte und man zog 50km weiter nördlich. An einem von den Engländern Sandy Beach genannten Ort, gründete man am 18.Dezember 1848 Punta Arenas.
Die hier untergebrachte Armeeeinheit war mit der Lage aber nicht wirklich zufrieden und meuterte schon 1852, was zu einer Neuanlage des Ortes führte. So war dann auch die erste Nutzung der Ansiedlung eine Strafkolonie. In der klimatisch recht unwirklichen Gegend gab es kaum Menschen die hier freiwillig siedelten und Gefangene waren ein gutes Mittel etwas aufzubauen, konnte man ihnen doch einfach befehlen Straßen anzulegen. Die Lage änderte sich erst 1867 als Oscar Viel zum neuen Gouverneur der Region Magallanes ernannt wurde, der chilenischen Region, die beide Seiten der gleichnamigen Straße abdeckt. Er war sich der strategisch wichtigen Lage bewusst, die Punta Arenas hatte und ließ sie zum Freihafen erklären, denn bis zur Eröffnung des Panama-Kanals 1914 musste man, um vom Atlantik an die pazifische Küste Amerikas per Schiff zu kommen, den Weg über Patagonien wählen und die Magellanstraße war dabei die ungefährlichste Route, in einer Region die viele riskante Stellen für die Seefahrt kannte. So legte ab 1868 die Pacific Steam Navigation Company auf ihrer Strecke von Liverpool nach Valparaíso in Punta Arenas an. Weiterhin wurden Anreize für Immigranten – insbesondere aus Mitteleuropa – geschaffen, um die Gegend zu bevölkern. Diese bekamen beispielsweise Land zugewiesen. Aber auch das Auffinden von Steinkohle und erste Goldfunde steigerten die lokale Entwicklung. Erste Estancias wurden im Umland geschaffen, die sich anfangs auf Rinderzucht spezialisierten.
Die nachhaltigste Veränderung jedoch war die Einführung von Schafen. Im Laufe der 1870er Jahre erkannte man, dass es nördlich der Stadt zahlreiche Graslandschaften gab und Gouverneur Diego Doublé Almeyda orderte 300 Schafe von den Falklandinseln, um eine Zucht beginnen zu lassen. Die Schafzucht sollte bald große Erfolge feiern und gewaltig expandieren. Aus den 300 Schafen 1877 wurden 1885 schon 40.000, vier Jahre später 300.000 und 1906 bereits 1,8 Millionen. Patagonien wurde zu der zweitgrößten Wirtschaftsregion für Schafwolle in der Welt. Auch die Verkehrswege mussten nun ausgebaut werden, insbesondere der Hafen von Punta Arenas wurde zu einem wichtigen Umschlagplatz. Die Schifffahrt spielte eine große Rolle, denn eine durchgehende Straße in die nördlichen Teile Patagoniens oder in die Hauptstadt gab es damals nicht und auch heute muss man dafür über Argentinien fahren. So erreichte der Hafen von Punta Arenas zu Beginn des 20. Jahrhunderts fast die Kapazitäten des chilenischen Haupthafens in Valparaíso. Ein kurzer zusätzlich einsetzender Goldrausch, der sich etwa bis 1910 hielt, führte zu weiterer Einwanderung. Überhaupt sieht man noch heute der Stadt ihre multikulturelle Geschichte an. Der Friedhof der Stadt, mit Stolz von den Einheimischen erwähnt, denn er soll auf einem Ranking der schönsten Friedhöfe Südamerikas auf einen der vordersten Plätze gekommen sein ( Ranglisten erfreuen sich in Punta Arenas großer Beliebtheit, der Verweis auf das nächste Café wird gern mit der Bemerkung verknüpft, dass jener Ort im Jahre soundso das beste Café ganz Chiles war) gibt einen Einblick auf die vielfältigen Nationen der Einwohner. Die Gräber tragen spanische, englische, französische oder deutsche Namen. Besonders viele Immigranten kamen aus Kroatien, noch heute gibt es kroatische Vereine in Punta Arenas.
Der damalige Reichtum ist auch zu Beginn des 21.Jahrhunderts noch sichtbar. Die zahlreichen Villen in der Stadt lassen Punta Arenas teilweise wie eine europäische Stadt wirken und haben nicht viel gemeinsam mit den Pioniersiedlungen anderer Städte Südpatagoniens. Dabei darf aber nicht vergessen werden, dass die Verteilung des Reichtums auf einige wenige Gewinner begrenzt war. Insbesondere die indigenen Völker verloren nicht nur ihr Land, sondern wurden von der neuen Zivilisationswelle förmlich ausgerottet, sei es indirekt durch neue, für sie unbekannte Krankheiten, für die keine körpereigenen Abwehrstoffe vorhanden waren oder direkt als Kampagnen der „Befriedung der Region“, die Gewalt an den Unzivilisierten rechtfertigte. Die Landwirtschaft erlebte schnell eine zunehmende Oligopolisierung. Einige wenige Züchter besaßen bald erhebliche Teile der lokalen Wirtschaft. Große Farmen umzäunten ihr Gebiet und raubten den indigenen Nomaden ihren Lebensraum. Ein Beispiel für eine steile Karriere jener Tage, ist der in Spanien geborene Buchmacher Jose Menéndez, der in Punta Arenas den russischen Migranten Elias Braun traf und gemeinsam mit ihm auf Feuerland eine riesige Estancia aufbaute. 1908 gründeten Braus Sohn Mauricio gemeinsam mit Menéndez die Sociedad Anónima Importadora y Exportadora de la Patagonia, kurz La Anonima, welche heute eine große Supermarktkette in Argentinien ist. Familien wie die Menéndez, Brauns und weitere hatten eine solche wirtschaftliche Machtfülle erreicht, dass sie ebenso die politischen Geschicke in Punta Arenas, als auch im Umland dirigieren konnten. Der Boom der Wolle lies jedoch nach dem 2.Weltkrieg stark nach und die sinkenden Woll-Preise führten viele Farmer in den Ruin und die Region in große wirtschaftliche Schwierigkeiten (worüber man bei Chatwin aufgeklärt wird, der Patagonien kurz nach der Machtergreifung Pinochets besuchte).
Trotzdem ist Punta Arenas noch die wichtigste Stadt des patagonischen Südens. Die chilenische Marine hat hier einen wichtigen Hafen erbaut und die Stadt entwickelt sich zum Zentrum für Reisende. Populär sind Fahrten zu den Pinguin-Inseln der Magellanstraße. Aber man kann von hier auch nach Feuerland oder zum nicht weit entfernten Nationalpark Torres del Paine reisen. Am vielleicht Wichtigsten ist aber Punta Arenas Bedeutung als Ausgangspunkt für Antarktis-Reisen. Von hier kann man in die unendlichen Weiten des kalten Kontinentes reisen. Immer wieder war Punta Arenas so etwas wie der Leuchtturm der Zivilisation, den es zu erreichen galt, sei es, weil man in den gefährlichen Wässern der Gegend in Gefahr geraten war, oder wie im Falle der Endurance-Expedition Sir Ernest Shackletons. Als dieser am 3.September 1916 endlich seine Crew wieder in die Zivilisation führte, nachdem ihr Schiff anderthalb Jahre vorher im Eis des antarktischen Weddellmeers eingeschlossen und schließlich untergegangen war, soll die ganze Stadt die Männer freudig begrüßt haben. Seit 2011 kann man sich auch zur seefahrerischen Vergangenheit der Region im Museum Nao Victoria informieren, wo Schiffsnachbauten präsentiert werden. Unter anderem auch die James Caird, mit welcher Shackelton verzweifelt im stürmischen Südatlantik nach Hilfe suchte oder die dem Museum namensgebende Nao Victoria, dass erste Schiff, dass die Welt komplett umsegelte und zur ersten Weltreiseexpedition unter Magellan gehörte. Zum Museum fahren sogenannte Taxi Collectivos (in diesem Fall Linie 28). Das sind Taxis, die wie Busse, eine bestimmte Linie abfahren und die man auf dieser Strecke besteigen kann. Ein nützliches Fortbewegungsinstrument, dass ich so nur in Chile kenne.
José Menéndez übrigens, widmete der Stadt ein Magellan-Denkmal auf Punta Arenas Hauptplatz, dem Plaza de Armas. Magellan gilt als einer der Gründerväter Chiles, wobei dieser seinerzeit sicherlich anderes im Sinn hatte. Unter dem Entdecker ist ein Ureinwohner platziert wurden. Die örtliche Legende behauptet, wenn man seinen Zeh berührt, würde man nach Punta Arenas zurückkehren.