Die demographische Größe der Stadt

Der Blick auf die Stadt kann ganz unterschiedliche Perspektiven annehmen. Wie alt ist die Stadt? Welche kulturelle oder administrative Bedeutung hat sie? Wie ist sie geformt? Wie lebt man in ihr? Ein sehr einfaches und für gewöhnlich recht häufig gebrachtes Mittel zur Einordnung von Städten ist, sie nach ihrer Größe zu ordnen. Man zähle die Einwohner zusammen und fertig!

Es ist aber gar nicht mal so einfach festzustellen, wie groß Städte konkret sind, denn Städte sind heute keine ummauerten Einheiten mehr, wie im Mittelalter und selbst in jener Zeit gab es durchaus Gebäude vor diesen Mauern, die nur deshalb gebaut wurden, weil es hinter den Mauern urbanes Leben gab, dass die Menschen anzog dort zu siedeln. Für die Angabe wie groß eine Stadt ist, daher wie viele Menschen sie bewohnt ist die Frage relevant bis wohin sich eine Stadt zieht. Die Grenzen der Stadt, sind nicht unbedingt die irgendwann mal festgelegten administrativen Stadtgrenzen (die sich durch Eingemeindungen etc. historisch schnell ändern können), denn diese sagen nicht immer wirklich viel über die tatsächliche Stadtgröße aus. Ein schönes Beispiel dafür ist Brüssel, die Hauptstadt Belgiens. Die Stadt Brüssel hat lediglich 176.000 Einwohner auf 32,6 km² (das sind ungefähr so viele Einwohner wie das nordrhein-westfälische Hamm hat). Sie ist aber nur Teil von 19 (Stadt-)Gemeinden, die zusammen die Region Brüssel-Hauptstadt ausmachen und 1,2 Mio. Einwohner haben, die sich auf 161 km² verteilen. Bei dieser Angabe wird die Größe der Stadt schon deutlicher. Ein Extrembeispiel wenig hilfreicher Stadtgrenzen stellt die chinesische Stadt Chongqing dar. Sie ist eine regierungsunmittelbare Stadt mit einer Verwaltungseinheit der Größe von 82.408 km², was in etwa die Größe Österreichs darstellt! Hier wohnen 28,8 Mio. Menschen, jedoch zumeist in ländlichen Siedlungen, denn die Einwohnerdichte des Gebietes liegt niedriger als die der Niederlande.
Ein Blick auf den Ballungsraum der Stadt ist vielmals viel zielführender um bestimmen zu können wie groß eine Stadt ist, im Fall von Chongqing ist er mit etwa 8 Mio. Einwohnern angegeben. Wie in den beiden Beispielen gezeigt, sagen die Stadtgrenzen nicht immer viel über die Größe der Stadt aus, wobei der Fall Chongqing eine Ausnahme darstellt, da hier die administrativen Grenzen viel zu weit gezogen sind um die Größe der Stadt zu ermitteln. Der Normalfall ist andersherum1.
Städte, als urbane Verdichtungen hören daher nicht immer an ihren Stadtgrenzen auf, sondern beinhalten auch Vororte und urbane Randlagen, die dann als Ballungsgebiet oder Agglomeration bezeichnet werden. Damit ist ein Verdichtungsraum gemeint, der wechselseitig verflochtene Gemeinden mit einer höheren Konzentration von Siedlungsflächenanteil und Siedlungsdichte. Im Regelfall gruppieren sich die Agglomerationen um eine Kernstadt und werden dann als monozentrische Agglomerationen bezeichnet (bspw. Ballungsräume wie Stuttgart, München, Berlin…). Sind mehrere Oberzentren vorhanden und lässt sich keine zentraler Hauptkernstadt ausmachen, so kann von einer polyzentrischen Agglomeration gesprochen werden (bspw. das Ruhrgebiet.2 Die Grenzen noch weiter ausweitend ist die Metropolregion, deren Fläche sich dann noch weit über das Ballungsgebiet hinaus ausdehnt. So umfasst die Metropolregion Berlin / Brandenburg eine Fläche von 30.546 km², und damit rund ein Drittel der Fläche ganz Ostdeutschlands. Diese Bestimmung scheint dann aber wieder zu weit gegriffen, da sie bis weit in unbesiedelte Randbereiche hinausreichen und nicht mehr viel, bis gar nichts mit der Kernstadt zu tun haben. Metropolregionen sagen so, fast gar nichts mehr über die Stadt und ihre Größe aus.
Ungünstigerweise kann man zusammenfassen: die Größe der Stadt ist ein etwas schwammiges Kriterium, denn selbst wenn man sich darauf einigt, dass diese immer innerhalb des Ballungsraumes befindet, bleibt die Frage, was diesen ausmacht und wie groß er letztendlich ist. Dabei muss gleichzeitig festgehalten werden das bei dieser Betrachtung Stadt nicht gleich Stadt ist. Denn Städte, die ein Ballungsgebiet über ihre eigenen Stadtgrenzen hinaus ausgebildet haben, können andere Städte innerhalb dieses Raumes quasi „vereinnahmen“, wobei dies ein irreführender Begriff ist. Das Wachstum einiger Städte breitet sich auf andere Städte aus und macht aus diesen Vorstädte (die tatsächlich auch ein Stadtrecht haben), die in einem engen funktionalen Zusammenhang mit ihrem „Oberzentrum“ stehen. Man denke hier an Beispiele wie Potsdam, das auch als Vorstadt von Berlin angesehen werden kann, oder an Alcalá de Henares als Vorstadt von Madrid.3
Historisch bildet sich die Situation der Ballungsgebiete mit der Phase der Industrialisierung heraus. Seit der industriellen Revolution wirken Städte wie große Magnete und ihre Einwohnerzahlen steigen – zumindest anfangs- dramatisch. Die Bevölkerung der Erde fängt an sich stark zu vermehren und erstmals in der Historie des Planeten wächst sie am dynamischsten in Städten. Obwohl die Weltgeschichte schon in der Antike große Städte kannte (man denke an Rom) ist es erst das 19. Jahrhundert das vermehrt Millionenstädte hervorbrachte (um 1900 waren es ungefähr 20, 100 Jahre früher gab es mit London nur eine). Im 20. Jahrhundert bilden sich daraus Megastädte, also urbane Verdichtungen von mehr als 5 Millionen Einwohnern, wovon es momentan schon über 50 auf der Erde gibt. Diese Megacities wachsen weit über ihre historische Innenstadt hinaus und bilden Vorstädte aus, die wenn sie allein betrachtet werden, teilweise selbst Millionenstädte sein können. Incheon beispielsweise hat 2,8 Millionen Einwohner und ist statistisch die 3.größte Stadt Südkoreas, liegt aber nur 30km von Seoul entfernt und kann als Trabantenstadt des nochmals ungleich größeren Seouls verstanden werden.

Eine Einordnung eines solchen Ballungsraums findet sich bei Dirk Bronger, der wiederum auf ein Modell von Olaf Boustedt zurück geht und als Stadtregion-Modell bezeichnet wird. Im Mittelpunkt (nicht unbedingt geografisch) liegt die Kernstadt (core city). Bis in die Gegenwart ist sie das funktionale Herz. Hier finden sich nicht nur zahlreiche kulturelle Einrichtungen und administrative Institutionen, sondern auch die Zentralen größerer Unternehmen. Statistisch sind die core citys zumeist mit den administrativen Stadtgrenzen gleichzusetzen, wobei es sich dann um „underboundes cities“ (siehe Anmerkung 1) handeln muss. Historisch gesehen wurden die Grenzen dieser Kernstädte gesprengt, einen Prozess den man Suburbanisierung nennt und der stark vereinfacht heißt, das Menschen aus der Innenstadt hinaus in nah angrenzende Gebiete gezogen sind. Daher schließt sich als nächstes das Ergänzungsgebiet an, dessen Siedlungscharakter sich in struktureller und funktionaler Hinsicht der Kernstadt ähnelt. Sowohl die Kernstadt als auch das Ergänzungsgebiet bilden zusammen das Kerngebiet der Agglomeration der Stadt. Dahinter folgt die verstädterte Zone, die schon eine deutlich aufgelockerte Siedlungsstruktur erkennen lässt, wobei die Bevölkerung hier immer noch insbesondere gewerblich stark vom Kerngebiet beeinflusst ist. Täglich fahren von hier aus die Pendler in die Kernstadt.Dieser Prozess der Suburbanisierung ist historisch nicht allzu alt und setzte als erstes in London um 1900 ein. Verstädterte Zone, Ergänzungsgebiet und Kernstadt bilden zusammen die metropolitane Agglomeration, an deren Ende die Randzone beginnt, in welcher immer noch Pendler leben können, die aber schon eine ländliche Besiedlungsstruktur hat, mit einer sehr geringen Einwohnerdichte insbesondere im Vergleich zur Kernstadt. Bei der historischen Einordnung des beschriebenen Prozess der Ausbreitung der Stadt, spricht Bronger von historischer, interner und externer Suburbaniserung, je nachdem wann und wohin sich das urbane Stadtgebiet ausgeweitet hat.

Urbane Zone

Zusammenfassende Zone

Prozess

Kernstadt

   

Ergänzungsgebiet

Kerngebiet

Historische Suburbanisierung

Verstädterte Zone

Metropolitane Agglomeration

Interne Suburbanisierung

Randzone

Metropolregion

Externe Suburbansierung

Diese Abgrenzung gilt natürlich nur für Großstädte, die Ballungsräume entwickelt haben und machen für Kleinstädte in der Regel keinen Sinn. Gleichzeitig sind auch hier die Grenzen von Stadt zu Stadt, gerade im weltweiten Vergleich immer wieder problematisch zu ziehen. Wo beginnt die verstädterte Zone und wo endet das Ergänzungsgebiet? Wo auch immer man daher eine Stadtgröße definiert, sollte angegeben werden, welche Bezugsfläche man annimmt. Das soll am Beispiel Stuttgart gezeigt werden:
Die Stadt Stuttgart hat 628.032 Einwohner auf einer Fläche von 207km² und ist so die sechstgrößte Stadt Deutschlands. Damit ist das rein administrative Stadtgebiet gemeint. Verlässt man diese relativ klar zu ziehende Grenze wird die genaue Einwohnerzahl undeutlich. Die offiziell nächst größere Einheit wäre die Region Stuttgart, einer Planungsregion welche den Stadtkreis und die fünf umliegenden Landkreise beinhaltet. Dabei handelt es sich um einen regionalen Zusammenschluss der sechs Verwaltungseinheiten, die gemeinsam die Aufgaben der regionalen Raumplanung, Verkehrsplanung und Wirtschaftsförderung übernehmen. Jedoch verliert dieser immerhin 3.653 km² große Bereich erheblich an urbanen Charakter, da er insbesondere in den fünf Landkreisen sehr in den ländlichen Bereich ausfranzt. So hat die kleine Gemeinde Kaiserbach im Osten des Rems-Murr-Kreises nur noch 2.500 Einwohner die sich mit einer Dichte von 89 Einwohner auf den km² verteilen, was in etwa der Bevölkerungsdichte des Landes Brandenburg entspricht. Noch größer ist der Rahmen der Metropolregion Stuttgart, die sich auf über 15.000 km² ausdehnt und rund 5,3 Mio. Einwohner hat. Bei einer Bevölkerungsdichte von 342 Einwohner ist die Metropolregion eher eine theoretische Größe, die für die (wirtschaftliche) Leistungsstärke der Region vielleicht Auskunft geben kann, für die Beschreibung Stuttgarts sicherlich weitaus weniger.
Eine andere Annäherung schlägt die wunderbare Internetseite citypopulation von Thomas Brinkhoff vor. Sie berechnet für Stuttgart lediglich die besiedelten Räume, also nur jene Gebiete die tatsächlich bebaut sind und kommt so für das urbane Gebiet Stuttgart (u. a. mit den Vorstädten Esslingen und Ludwigsburg) auf die Bevölkerungszahl von 1,35 Mio. Dies würde bei Bronger wohl am besten zur Definition des Kerngebietes passen. Nimmt man den Bereich der urbanen Agglomeration, bei Bronger die verstädterte Region, dazu, kommt man auf über 2 Millionen Einwohner. In der folgenden Tabelle werden die Daten zusammen gefasst:

Einheit

Einwohner

Fläche

Einwohner / km²

Stadtkreis Stuttgart

628.032

207 km²

3.029

Region Stuttgart

2.735.425

3.653 km²

749

Metropolregion Stuttgart

5.300.000

15.400 km²

342

Urbanes Gebiet Stuttgart

1.353.500

292 km²

4.633

Urbane Agglomeration Stuttgart

2.333.000

621 km²

3.759

Auffällig ist, dass bei den Berechnungen von citypopulation.de die Einwohnerdichte für die erweiterten Gebiete höher sind als für das reine Stadtgebiet bzw. die Kernstadt. Wer daraus ableitet das in den Vororten eine dichtere Besiedlung herrscht, als in der Kernstadt liegt damit aber nicht (automatisch) richtig. Vielmehr wurden – wie bereits erwähnt nur tatsächlich besiedelte Gebiete in die Berechnung einbezogen. Damit fallen aber die zahlreichen Grünanlagen, größere Parks und Stadtwälder aus den Berechnungen heraus (am Beispiel Dresden wäre dies die immerhin 50 km² große Dresdner Heide oder aber auch der sehr zentral gelegene Große Garten). Dies ist durchaus diskutabel, den größere Parks sind teilweise elementare Bestandteile der Stadt und Orte urbanen Lebens und insofern weit mehr als die „grüne Wiese“. Trotzdem ist mit den letztgenannten Berechnungen am besten angegeben wie die Größe einer Stadt berechnet werden kann, weshalb auch auf tommr.net darauf zurückgegriffen werden soll.

Mehr zum Thema bei:

Dirk Bronger (2016): „Metropolen, Megastädte, Global Cities. Die Metropolisierung der Erde“
Diese Buch gibt einen sehr guten Überblick über das Feld Megastädte und Global Cities und erörtert Fragen angefangen von er Größe der Städte bis hin zu ihrer funktionalen Verflechtung in das staatliche, als auch globale Umfeld. Zahlreiche Statistiken zeigen sehr interessante Fakten auf. Einzig die schreckliche Fehlerhaftigkeit ist sehr störend, (in vielen Tabellen finden sich beispielsweise Tippfehler, gegen Ende des Buches wird das immer schlimmer)

citypopulation.de bietet einen beeindruckenden Blick auf Städte und ihre demographische Größe weltweit.

 

Fußnoten:

1 Schon in den 1950er Jahren hat der Geograph Kingsley David modellhaft drei Typen von Stadtgrenzen und Bevölkerungsstand genannt.
Eine „overbounded city“ ist eine Stadt dessen Grenzen weiter als das städtische Gebiet reichen, als Beispiel würde hier Chongqing gelten. Eine „underbounded city“ ist im Gegenteil eine viel zu eng begrenzte Stadt, deren urbanes Gebiet über die Stadtgrenzen hinausreichen. Dies trifft für einen Großteil insbesondere von Großstädten zu. Ein Idealfall wäre die „truebounded city“, wo die Grenzen der Stadt und des urbanen Raumes gleich sind. Ein annäherndes Beispiel dafür ist das spanische Zaragoza.

2 Polyzentrische Agglomerationen können jedoch ein Wahrnehmungsproblem haben, in der Form das sich niemand als Teil dieser Agglomeration ansieht. Hier wäre zu fragen, ob es überhaupt eine gemeinsame Wahrnehmung als städtisches Gebiet gibt. Im Ruhrgebiet ist dies sicherlich vorhanden.

3 Sowohl Postdam, als auch Alcalá de Henares haben aber eine eigene Geschichte, die unabhängig vom Ballungsgebietsstadt ist, in welcher sie sich jetzt befinden. Im Fall von Alcalá ist diese Geschichte um viele Jahrhunderte älter!