Ústí nad Labem

Ústí nad Labem, oder auf Deutsch: Aussig an der Elbe, gilt nicht gerade als die Perle der nordböhmischen Städte. Der Industrieort hat fast 100.000 Einwohner und liegt an den steilen Talhängen des Böhmischen Mittelgebirges durch das sich die Elbe zieht und in welchem das Flüsschen Bílina (Biela) mündet, wodurch sich auch der Name ergibt,  denn das alttschechische Wort ustie (= ústí) bedeutet so viel wie ‚Mündung‘. Ústí ist die Hauptstadt des Ústecký kray, einer der 14 Regionen Tschechiens. Ich erinnere mich schon in recht früher Kindheit in der Stadt gewesen zu sein, denn der Höhepunkt eines Urlaubs im Erzgebirge war immer ein Ausflug in die damalige ĈSSR. Allerdings habe ich alles vergessen, was damals passierte und glaube mich nur noch daran zu erinnern, dass die Stadt im Allgemeinen als hässlich zu bezeichnen war und als solche von meinen Eltern auch bezeichnet wurde. Aber als Dresdner wird man sowieso dazu erzogen, dass keine andere Stadt je an die Schönheit der eigenen Heimatstadt heranreicht und insofern ist dies kein wirklicher Maßstab. Sehr gut in Erinnerung ist mir auch, dass im Institut für Geschichte der TU Dresden ein Austauschprogramm mit der Uni in Aussig eingerichtet wurde und meine Skepsis, ob es je einen Dresdner gäbe, der freiwillig nach Ústí zum studieren ziehen würde, sich bis heute nicht wirklich gelegt hat. Später brachten mich ein paar Freundschaftsspiele mit tschechischen Fußballern in den Ort, aber außer dem Fußballplatz, verräucherter Kneipen und dubiosen Kantinen blieb auch da keine Erinnerung an die Gestalt der Stadt. Schließlich führen seit Eröffnung der Autobahn nach Prag die Wege über Ústí, denn so lang die ökologisch sehr diskutable Trasse durch das Böhmische Mittelgebirge noch nicht fertiggestellt ist, müssen die Fahrzeuge durch das Elbtal fahren und schneiden dabei den Ort. Man kann wirklich nicht sagen, dass bei solchen Durchfahrten, dass Interesse an der Elbstadt markant steigen würde, aber das wirklich reizvolle Tal der Elbe bewirkt, dass der Wunsch Ústi einmal besuchen zu können, wenn man sich den schönen Elbweg vom Böhmischen Mittelgebirge in Richtung Sächsische Schweiz ansieht, nicht vollkommen aus der Luft gegriffen ist. Und dann macht man das halt mal.

Auf dem ersten Blick erkennt man in Ústí zahlreiche auf den Westhängen der Stadt gelegene Plattenbauten, dazu noch einige Industrieanlagen und eine Recht reizvolle Tallage. Schnell sieht man auch die Burg Schreckenstein, die über der Elbe thront, das Aussichtsrestaurant Větruše, dass mit einer Seilbahn zu erreichen ist, die ihre Talstation in einem Einkaufszentrum hat und eine etwas schiefe Kirche. Aussig bietet also etwas, auch wenn man gleich sagen muss, viel Zeit um alles zu erkunden braucht man nicht.

Geschichtlich ist Aussig aber hoch interessant. Schon 993 erstmals erwähnt, wurde es im 13.Jahrhundert vom böhmischen König Přemysl Ottokar zur Königsstadt erhoben, womit sich für die Bürger der Stadt größere Rechte ergaben. In den Hussitenkriegen kam es am 14. Juni 1426 zur Schlacht bei Aussig, welche die Hussiten gewannen und das sächsisch-thüringische Heer vernichteten. Zwar wurden zahlreiche deutsche Siedler vertrieben, später wird jedoch von einem friedlichen Zusammenleben von tschechischen und deutschen Bewohnern berichtet, so dass auch in den folgenden Jahrhunderten immer wieder deutsche Siedler, in das sich entwickelnde Städtchen zogen. Einen heftigen Einschnitt erlebte Aussig jedoch im 30-Jährigen Krieg, der die Stadt in die Bedeutungslosigkeit zurückversetzte und von deren Auswirkungen der Ort, mit nunmehr nur noch 2.000 Einwohnern, sich über rund 200 Jahre nicht erholte. In den Mittelpunkt der Geschichte trat die Region um Ústí 1813, als bei der Schlacht von Kulm das napoleonische Heer versuchte einen Durchbruch über das Erzgebirge gegenüber dem vereinigten preußisch, russisch und österreichischen Koalitionsheer zu erzielen, was allerdings misslang. Die Zeit der Industrialisierung führte zu raschen Veränderungen in Ústí. Zahlreiche neue Bewohner siedelten sich an, Bergwerke eröffneten ebenso wie Papier- und Farbwerke. 1851 erfolgte der Anschluss an das Eisenbahnnetz, Lastkähne der Elbe wurden hier verladen und der Handel mit Böhmen organisiert. Von 1840 bis 1860 vervierfachte sich die Bevölkerungszahl auf 8.000 Einwohner. 1872 wurde die erste Elbbrücke eröffnet und schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts hatte Aussig rund 40.000 Einwohner. Nach der Gründung der Tschechoslowakei führten radikalisierte Tendenzen 1935 zu einem Wahlsieg des nationalsozialistischen Sudetenführers Konrad Henlein und das sollte leider nur der traurige Anfang sein. 1938 wurde mit dem Münchner Abkommen die Stadt dem Deutschen Reich angegliedert, mit der Zeit der Naziherrschaft wurden rund 80% der 1200 Menschen zählenden jüdischen Bevölkerung ermordet. Fliegerangriffe 1945 zerstörten rund ein Fünftel der Stadt und 500 Menschen verloren ihr Leben. Auch nach dem Ende des Krieges riss die Gewalt nicht ab, so kam es am 31.Juli 1945 zu einem Pogrom gegen die verbliebene deutsche Bevölkerung, bei der je nach Standpunkt zwischen 100 und 1000 Menschen getötet wurden. Bis 1946 wurde die restliche deutsche Bevölkerung (rund 53.000 Menschen) aus der Stadt vertrieben. Durch den Zuzug von Slowaken sowie Sinti und Roma, konnte der Bevölkerungsverlust kompensiert werden. Noch heute ist der Zuzug von Sinti und Roma ein polarisierendes Thema, so stand die Stadt unter europäischer Beobachtung, als 1998 eine Mauer um die Viertel gezogen werden sollte, indem Roma wohnten. Aber auch Gutes ist in den letzten Jahren geschehen. Seit 1991 ist Ústí eine Universitätsstadt mit derzeit immerhin 7.500 Studenten. Heute ist die Stadt mit 95.000 Einwohnern die achtgrößte in Tschechien.