Konsumgenossenschaft Vorwärts
Über fünf Jahre lang führte mich der tägliche Weg zur Arbeit an einem alten verlassenen Lagerhaus vorbei, dass mich schon als Kind beeindruckte, nur dass ich nicht den Namen des Bauwerks kannte. Das Dresden meiner Kindheit hatte viele solcher alter und runtergekommener Häuser, die nicht selten verlassen waren, wie beispielsweise der Erlweinspeicher, für mich damals ein Schandfleck am Elbufer und das erste Opfer, sollte ich mal Sprengmeister werden. Heute ist es beachtenswerterweise ein vier Sterne Hotel.
Etwas anderes war es mit der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“, von der hier die Rede sein soll. Das Gebäude liegt nur etwas südlich der Stadtmitte Dresdens, jedoch ist es recht versteckt. Die am Haus vorbeiführende Fabrikstraße endet offiziell nur wenige hundert Meter weiter unter der Nossener Brücke ohne dass irgendein Ort von Interesse in dieser Gegend wäre, wenn man vom Kraftwerk Nossener Brücke absieht. Die auf der anderen Seite des Bauwerks entlangführende Bahntrasse kennt hier keinen Haltepunkt. Trotzdem reichen meine Erinnerungen, lange zurück an den dunklen Klinkerbau, in der schmutzigen weil, industriell geprägten Gegend, in die man außerordentlich selten kam. Doch dieses Haus hatte etwas. Ich denke, ich war vor allem von den langen horizontalen Fensterreihen beeindruckt. Auch war mir so recht nie klar, wofür dieses Haus eigentlich gebaut wurde. Doch erst mit der Zeit meiner täglichen Arbeitswege fiel meine Beachtung stärker auf den rötlichen Backsteinbau.
Das mit der Straße eine leichte Kurve vollziehende Gebäude, des Fleischverarbeitungsbetriebs der Konsumgenossenschaft „Vorwärts“, wurde von 1927 bis 1930 gebaut. Geplant hatte es der Dresdner Architekt Kurt Bärbig. Das sechsgeschossige Haus sollte Teil eines großen Komplexes für die Nahrungsmittelproduktion der Stadt werden. Dessen Ausführung wurde aber nie beendet, da die Weltwirtschaftskrise einen Weiterbau stoppte. Das bestehende Bauwerk ist durch einen Tunnel mit einer Wagenhalle auf der gegenüberliegenden Straßenseite verbunden. Diese von Karl Schmidt geplante Halle ist leider auch nicht mehr benutzt, seit dort vor einigen Jahren eine Go-Cart Bahn auszog.
Das heute leider leer stehende Haus der Konsumgenossenschaft besteht aus zwei Flügeln, die in einem stumpfen Winkel durch einen gläsernen Turm verbunden werden, der allerdings gegen Vandalismus geschützt, mit Brettern verdeckt wird. Bärbig hat sich mit diesem Haus eng an den Stil des Architekten Erich Mendelsohn gehalten, besonders deutlich wird dies mit den horizontalen über die geschwungene Ecke verlaufenden Fensterreihen. Dieser dem Typus der Neuen Sachlichkeit verbundene Stil, zeigt auch heute noch eine schlichte Eleganz und eine wunderbar unaufdringliche Dynamik. Untypisch für Dresden ist das Haus ein mit Klinkern verkleideter Stahlskelettbau. Alle Freunde moderner Architektur können nur hoffen, dass sich in absehbarer Zukunft eine neue Nutzungsmöglichkeit für dieses schöne und mittlerweile denkmalgeschützte Gebäude finden wird.