Alcalá de Henares

195.907 Einwohner | 87,7 km² | 2288,7 Einw./km² | Universitätsstadt | Innenstadt seit 1998 unter UNESCO-Welterbestatus | Kreisstadt der Comarca de Alcalá | 30km O von Madrid

Wer Alcalá de Henares auf den ersten Blick auf den Großraum Madrid wahrnimmt, wird diese Stadt mit fast 200.000 Einwohnern nur als typische Vorstadt sehen, wie sie sich viele um Madrids Hauptstadt tummeln. Alcalá ist tatsächlich eine Vorstadt, doch diesen Charakter hat sie vielleicht erst seit rund 50 Jahren. Tatsächlich weisen die Geschichte und die Bedeutung der Stadt viel tiefer zurück, als die von Madrid, aber auch der Bedeutungsverlust von Alcalá ist eng verknüpft mit der rund 30km westlich gelegenen spanischen Hauptstadt.

Die Stadtgeschichte geht zurück auf das erste nachchristliche Jahrhundert, als die Römer eine Siedlung im Tal des Flusses Henares gründeten und den Namen Complutum gaben. Als wichtiger Verbindungspunkt zwischen Zaragoza und Mérida, erlangte der Ort bald einige Bedeutung und soll schon in der Antike rund 10.000 Einwohner gehabt haben. Als die Mauren die iberische Halbinsel überrannten, nahmen sie die Stadt nicht ein, bauten aber auf der anderen Seite des Flusses eine Festung. Diese Festung, auf Arabisch „al-Qal’a“, ist dann auch namensgebend für den heutigen Ort geworden (deshalb findet sich der Name Alcalá auch recht häufig in Spanien, Alcalá de Henares ist aber der größte und bedeutendste Ort der Alcalás). Die Gegend wurde 1118 von den Christen wiedererobert und 1184 schon erhielt Alcalá Stadtrechte. In der prosperierenden Stadt siedelten auch zahlreiche jüdische Familien. Ihren Höhepunkt erlebte Alcalá 1499, als der engste Berater der katholischen Könige, Kardenal Cisnero die zweite spanische Universität gründen ließ, die Universidad Complutense, die nach dem latenischen Namen der Stadt benannt wurde. Alcalá de Henares wurde dafür vollkommen neu geplant, in Form einer göttlichen Idealstadt, in welcher die Gebäude der Hochschule angeordnet wurden. Heute steht deshalb die Innenstadt unter UNESCO-Weltkulturerbeschutz (seit 1998). Aufgabe der Universität war es Kleriker auszubilden. Im Zuge dessen wurde hier auch die erste mehrsprachige Bibel gedruckt, die Complutensische Polyglotte[hier zur Erklärung auf wikipedia]. Aber auch zukünftige Staatsbeamte wurden an der Complutense unterrichtet. An ihr studierten so große spanische Dichter wie Lope de Vega oder Francisco de Quevedo. Der größte Autor der spanischen Literatur, Miguel de Cervantes, studierte zwar nicht hier (man glaubt sogar er studierte gar nicht und wenn doch, dann in Salamanca), aber er wurde mit einiger Sicherheit in Alcalá de Henares geboren und ist damit der bekannteste Sohn der Stadt. Sein „Don Quichote“ erlangte bekannterweise Weltruhm. Noch heute, am Todestag von Cervantes (dem 23.April), wird ein nach ihm benannter Preis vergeben, der renommierteste Literaturpreis in der spanisch sprachigen Welt, den unter anderem schon Jorge Luis Borges, Octavio Paz oder Mario Vargas Llosa gewannen (die beiden Letztgenannten gewannen auch den Literaturnobelpreis).


 Im 19.Jahrhundert sollte sich die Bedeutung für Alcalá ändern. Madrid seit dem 17.Jahrhundert Hauptstadt Spaniens entwickelte sich zu der bedeutendsten Stadt auf der iberischen Halbinsel. Im Zuge der territorialen Neugliederung Spaniens 1833, wurden historische Regionen und Provinzen eingerichtet. Innerhalb von Neukastilien wurde aber nicht Alcalá zu einer Provinz(-hauptstadt) erklärt, sondern das damals weniger bedeutendere Guadalajara. Doch damit nicht genug, 1836 wurde die Universität, welche die gesamte Stadt prägte, nach Madrid verlegt. Alcalá soll damit über die Hälfte seiner Einwohner verloren haben und wurde zu einem kleinen kastilischen Nestchen degradiert. Bis 1930 lebten rund 10.000 Einwohner in der Stadt. Trotzdem war der Ort groß genug, um zahlreiche Schäden im spanischen Bürgerkrieg zu nehmen. In der Franco-Zeit kam es dann aber auch wieder zu einem Aufschwung von Alcalá, allerdings nur als Vorort des immer weiter wachsenden Madrid. Ab 1960 erfolgte ein wahrer Boom an Zuwanderung, von rund 25.000 Einwohnern wuchs die Stadt innerhalb von 20 Jahren auf 140.000 Einwohner und ist heute der bedeutendste Vorort der Metroregion Madrid. Seit 1977 hat man auch wieder eine Universität, die Universidad de Alcalá, die heute rund 28.000 Studenten zählt. Obwohl die eigentlich historische Complutense Universität nach wie vor in Madrid beheimatet ist, ist man auch an dieser Hochschule stolz auf das lange Erbe. Der schon angesprochene Cerantes-Preis wird in den historischen Gemäuern vergeben, in welchen die neue Hochschule nun wieder lehrt.

Eine Reise nach Alcalá de Henares lohnt sich sehr, zumal die S-Bahn nur rund eine halbe Stunde von Madrid aus benötigt. Die Innenstadt ist nicht vom Bauboom der Außenstädte betroffen und zeigt seinen Einwohnern und Besuchern noch viel historische Bausubstanz auf und ist ein äußerst sehenswürdiges Beispiel für eine Universitätsstadt der frühen Neuzeit. Gern wird die Stadt übrigens auch von Störchen bewohnt, die auf jedem verfügbaren Platz ihre Nester bauen und zu einem weiteren Symbol für Alcalá geworden sind.