Alcoi

59.106 Einwohner | 130 km² | Hauptstadt der Comarca L‘Alcoiá | Höhe: 561m üNN | Name der Stadt auf Spanisch (zumeist so auch auf Deutsch): Alcoy; Name der Stadt auf Valencianisch und offizielle Bezeichnung: Alcoi | Bezeichnung für die Einwohner der Stadt: Alcoiá/ana (auf spanisch: alcoyano/a)

Verlässt man das flache valenzianische Schwemmland des Turia und des Jucar in Richtung Süden gelangt man schnell in ein Bergland, dass weitaus bevölkerter ist, als viele andere bergige Regionen Spaniens. Hier findet sich das kleine Industriestädtchen Alcoi (auf spanisch: Alcoy), dass so etwas wie das Zentrum der bergigen Region auf der Linie València – Xativa – Ontinxent – Alcoi – Alacant ist. Die Stadt mit ihren rund 60.000 Einwohnern liegt oberhalb einer Landschaft von steil abfallenden Seitentälern der Serpis Flusses, der von hier nach Gandia verläuft.
Bekannt ist Alcoi heute weniger für seine für spanische Verhältnisse äußerst zeitigen Industrialisierung, sondern für das Volksfest „Moros i Christians“. Drei Tage lang, immer um den St. Georgstag wird hier, in gewisserweise der Reconquista gedacht, wobei das Fest religiöse und besonders militärische Züge verdrängt hat und aus wundervollen Paraden der Mitglieder einzelner städtischer Gruppen bestehen. Heute finden sich in vielen Orten im Land Valencia diese Paraden, ihren Ursprung und Höhepunkt haben sie aber in Alcoi. Weiterhin ist die Stadt recht stolz auf zahlreiche Bauwerke des spanischen Jugendstils, des Modernisme, wie er am bekanntesten in Barcelona zu finden ist. Jedoch ist in der gesamten Levante, immer wieder diese sehr schöne Form des Jugendstils zu finden.

In Alcoi bemerkt man schnell in einer alten Industriestadt zu sein. Schon im 15. Jahrhundert nutzten die Bewohner der Umgebung die steilen Hänge und die daraus resultierende Wasserkraft für mechanische Unterstützung von gewerblichen Tätigkeiten. Der Prozess der Industrialisierung setzte dann aber erst im späten 18. Jahrhundert langsam ein, in dem in den Tälern des Barxell und Riquer erste Papiermühlen angetrieben wurden und Wollfärberein weiter im Tal entstanden, wo die Flüsschen in den Molinar mündeten, der wiederum in den Serpis fließt. So entwickelte sich in der Stadt eine leistungsstarke Textilindustrie, gleichfalls ebenso eine Papierherstellung und metallurgische Fertigungen. Die zunehmend benötigte Energie konnte man aus in der Nähe liegenden Kohlenflözen gewinnen. Die Stadt wurde dadurch zu einem ersten industriellen Zentrum der gesamten Region, was nicht nur zu einem Ausbau des mittelalterlichen Stadtkerns führte, sondern gleichfalls zu zahlreichen Brückenschlägen mit anderen Hügeln der Tallage, die der Stadt neuen Platz zum wachsen gaben. Dadurch hat sich Alcoi auch zu einer Stadt durchaus beachtenswerter Brückenarchitektur entwickelt.
Ein weiterer Effekt der Industrialisierung Alcois ist der hiesige Aufstieg einer gut situierten oberen Mittelschicht, die wiederum Trägerschicht für die architektonische Ausgestaltung einiger Häuser im Stil des Modernisme sind. Diese Richtung beschränkte sich nicht nur auf die äußere Gestaltung von Häusern, sondern zeigte sich gleichfalls in der Inneneinrichtung. Noch heute ist dies wundervoll zu besichtigen im Circulo Industrial (allein der Name dieser Kultureinrichtung zeigt die wundervolle Orientierung der Stadt zur Industrie, denn gemeinhin werden diese Institutionen lieber den schönen Künsten gewidmet, wie zum Beispiel in Madrid der Circulo de Bellas Artes). Der Modernisme ist eine vorgänglich an der spanischen Ostküste (Katalonien und València) geprägte Kunstrichtung, die zwar viel mit dem deutschen Jugendstil, dem Art Noveau Belgiens und Frankreichs oder dem Arts and Crafts in Schottland gemeinsam hat, aber eben doch eine eigene Formensprache entwickelte. In Alcoi sind dafür zwei Architekten hauptverantwortlich, welche die überwältigende Mehrzahl der hiesigen Modernisme Bauwerke (sie bauten in der Stadt über 60 Gebäude!) gestalteten. Die ist zum einen Vicente Pascual Pastor, dessen Bauwerke etwas mehr an die belgische Art Nouveau Tradition erinnert, während Timoteo Briet Montaud etwas mehr an der Wiener Secession orientiert war. Obwohl man in Alcoi keine großen Einzelwerke, wie die Sagrada Familia (Barcelona) erwarten darf, finden sich schöne Einzelgebäude mit ihren typisch geschwungenen Balkonen und omegaförmigen Fenstersimsen, als auch die eindrückliche Innenausgestaltung, wie sie am besten im schon erwähnten Circulo Industrial zu finden ist, wo die Bibliothek und der Salon mit seiner Rotunde bestechen.
Wie viele ehemalige Industriestädte befindet sich Alcoi in einer Transition. Seit 1970 nimmt die Bevölkerung in der Stadt leicht ab und hat sich in den letzten Jahren auf knapp unter 60.000 Einwohner stabilisiert. Beeindruckend ist das man in Alcoi seine industrielle Vergangenheit nicht einfach wegwischen oder verschwinden lassen möchte, sondern diese aktiv dem Besucher anbietet. Mir ist keine andere Stadt bekannt, die einen extra Aussichtspunkt anbietet, um auf ein Tal mit heute größtenteil ruinösen Fabrikhallen zu schauen. Diese Hallen haben die Stadt geprägt und sollen heute betrachtet werden, auch wenn sie ein eher betrübliches Bild abgeben. So ist Alcoi keine wirklich schöne Stadt, in einer aber sehr reizvollen Berglandschaft, aber Alcoi weiß um seine Traditionen und um seine Stärken und das macht die Stadt sehr sehenswert.