Ushuaia

56.956 Einwohner | 23km² | südlichste Stadt der Welt | auf Feuerland gelegen am Beagle-Kanal | Hauptstadt der Provinz Tierra del Fuego | 210km SW von Rio Grande | 3094km SW von Buenos Aires

Ushuaia hat einen großen Vorteil und der liegt in der Lage der Stadt und der Bedeutung die dieser Lage zugesprochen wird, denn Ushuaia bezeichnet sich selbst als „südlichste Stadt der Welt“, oder noch lieber, als das „Ende der Welt“. Zwar gibt es auf der anderen, südlicheren Seite des Beagle Kanals noch einen chilenischen Ort – Puerto Williams – aber diese 2.000 Menschen-Siedlung, die als Militärbasis gegründet wurde, hat keinen Status einer Stadt.
Ushuaia mit rund 57.000 Einwohnern ist durchaus eine Stadt, wenngleich man dem Ort einen gewissen Pioniercharakter nicht absprechen kann, denn alles wirkt ein wenig, wie gerade irgendwo hingezimmert. Der französische Philosoph Jean Baudrillard weist auf den konstruierten Charakter von Ushuaia hin, für ihn ist es die Heimat einer chaotischen, zusammenhanglosen Cowboy-Film-Moderne mit Beton, Staub, Benzin und zwecklosem Verkehrs (tatsächlich ist die Hauptstraße der Stadt ziemlich häufig verstopft und man fragt sich wo die ganzen Autos herkommen). Er vergleicht Ushuaia mit New York, denn beide Städte sind konstruierte Orte, der erste als das Ende der Welt, der andere als deren Zentrum. Das dies nur eine kulturelle Konstruktion ist, zeigt nicht nur, dass sich die schon ausgerotteten Alakaluf-Indianer keineswegs bewusst waren an irgendeinem Ende der Welt zu leben. Sie lebten einfach dort und nirgendwo anders. Kommt man aber als Europäer nach Ushuaia, so kann man sich kaum dem Reiz des Endes der Welt entziehen. Dann von hier aus geht es ins große Nichts. Ein bisschen ist es wie am Flughafen sein und ehrfürchtig die Maschinen in die Welt hinausfliegen zu sehen. Hinter Ushuaia beginnt das Nichts, die Weite, die Freiheit und auch die Gefahr, die Unwirtlichkeit, das ewige Eis. Man imaginiert die Polarexpeditionen vor sich und schaut nach Süden.

Weniger noch als die wundervolle Lage am Beagle-Kanal, eingerahmt von den Bergspitzen der hier beginnenden (oder endenden?) Anden, profitiert die Haupteinnahmequelle der lokalen Wirtschaft, vom Tourismus. Ushuaia lädt dazu ein, ordentlich Geld auszugeben, denn dass muss der Reisende fast zwangsläufig, da Ushuaia einer der, wenn nicht der, teuerste Ort in ganz Argentinien und vielleicht Südamerika ist.
Aber Ushuaia hat nicht nur eine eindrucksvolle Lage auf dem Globus (im Übrigen ist diese im Vergleich zur Nordhalbkugel gar nicht mal so extrem, mit 54 48’57“S liegt Ushuaia ungefähr genausweit vom Äquator weg, wie Kiel, das norwegische Nordkapp beispielsweise liegt auf 71ᵒ N; die relativ gesehen, entfernte Lage vom Südpol ist auch der Grund, warum es keine Mitternachtssonne im Südwinter auf Ushuaia gibt), sondern vor allem eine beeindruckende Umgebung. Am Beagle-Kanal gelegen, welcher den pazifischen mit dem atlantischen Ozean verbindet, türmen sich auf beiden Seiten des Ufers die Reste der Anden auf, die hier „Cordillera Darwin“ heißen. Nur wenige Kilometer entfernt von der Stadt liegt der Nationalpark Tierra del Fuego, dessen fast schon atemberaubende Schönheit zahlreiche Besucher anzieht (angemerkt sei, dass eine Wanderung auf dem 8km langen Senda Costera sehr zu empfehlen ist, da man hier, anders als am Mirador Lapataia fast für sich allein ist).

Ushuaias Geschichte ist vergleichsweise jung, obwohl an den Küsten Feuerlandes schon seit vielen Jahrtausenden die indigenen Völker der Alakaluf und der Yaghan siedelten, besonders letztere hatten sich in den Gestaden Ushuaias niedergelassen. Da sie aber Nomadenvölker waren, errichteten sie keine Siedlungen. Es waren britische Missionare, die sich hier im Laufe des 19. Jahrhunderts erstmals niederließen, um die Einheimischen zu bekehren. So stammt der Name Ushuaia aus der Yaghan Sprache und ist deren Bezeichnung für jenen Platz am Kanal. Nachdem 1869 der erste Gottesdienst in Ushuaia abgehalten wurde, drangen besonders die Argentinier darauf, den Ort auszubauen, um den eigenen Herrschaftsanspruch durchzusetzen. Sie sahen die Gefahr einer fremden Okkupation dieses eher unbewohnten Landstriches, denn anfangs lebten hier tatsächlich eher Briten. Erst 1881 nach der Grenzziehung mit Chile begann eine verstärkte Besiedlung in der nun endgültig in Argentinien gelegenen Gegend. Die wurde auch durch Goldsucher erweitert, welche hier versuchten um die Jahrhundertwende reich zu werden, was aber nur den Wenigsten gelang. 1893 sollen 113 Männer und 36 Frauen in Ushuaia gelebt haben, wobei zu bedenken ist, dass die Ureinwohner – die im Zuge ihrer Missionierung und dem Raub ihres Lebensraumes, urbanisiert wurden – einfach nicht mitgezählt wurden. So wie man auch nie auf die Idee gekommen wäre, dass dies einen eigenen Staat hätten errichten können. Die Yaghan und Alakaluf fielen dann auch besonders den zahlreichen Epidemiewellen zum Opfer und waren schon Anfang des 20. Jahrhunderts fast ausgerottet.
1896 wurde ein Gefängnis in Ushuaia eröffnet und die ersten Insassen hergebracht. Das Einrichten von Strafanstalten oder Kolonien ist ein beliebter Weg gewesen, abgelegene Landstriche zu bevölkern.  In dieser Zeit wurde Ushuaia vom argentinischen Staat auch zur Hauptstadt der Provinz Feuerland ernannt. Und die Gefangenen durften, oder besser mussten, bei der Kolonisierung der Gegend helfen. Sie bauten unter anderem eine kleine Zugstrecke, die heute als „tren del fin del mundo“, eine teure Touristenattraktion ist, damals aber zum Gütertransport diente. 1947 wurde das Gefängnis geschlossen, dafür aber ein Armeestützpunkt eingerichtet, der beim Falklandkrieg 1982 einige Bedeutung besaß. Noch in den 1970er Jahren beschrieb Bruce Chatwin Ushuaia als ruhiges und gottverlassenes Nest im Nirgendwo: „Die Einwohner dieser offensichtlich kinderlosen Stadt hatten blau angelaufene Gesichter und warfen Fremden unfreundliche Blicke zu.“ (Chatwin; In Patagonien; S. 164) Doch Chatwins Buch half auch mit, den Tourismus in diese Gegend der Welt zu bringen. Die Eröffnung des Flughafens auf einer künstlichen Insel im Beagle-Kanal in den 1990er Jahren machte aus Ushuaia so etwas wie eine kleine Resort-Stadt, wie Chris Moss in seinem Buch über Patagonien schreibt.
Wer heute nach Ushuaia kommt, der wird auf eine recht wilde Stadt treffen, die bunt und eher zufällig am Uferhang des Beagle-Kanals zusammengestückelt wurde. Das Ende der Welt, ebenso konstruiert, wie zelebriert, beschreibt das Aussehen der Stadt. Wäre nicht das großartige Panorama des südlichen Feuerlandes wäre man vielleicht etwas enttäuscht von diesem so speziellen Ort, aber man hätte immer noch die Vorstellung der großen letzten Weite dahinter.