Gläserne Manufaktur

Das Dresden meiner Kindheit war unter anderem eine Industriestadt. Ich erinnere mich noch sehr gut daran in der Straßenbahn, am kräftig qualmenden Kraftwerk Mitte vorbeigefahren zu sein. Für mich waren die Werke und Betriebe immer der hässliche Teil der Stadt, der den schönen Teil verdreckt. Ich kann mich deshalb entsinnen, anfangs etwas skeptisch gewesen zu sein, als man in den 1990er Jahren ankündigte, dass Volkswagen eine Autofabrik in den bzw. an den Rand des Großen Garten bauen wollte. Dies an einen Ort, der mir recht bekannt war, da an dieser Ecke des Fučikplatzes (heute Strassburger Platz),die Endhaltestelle der mir aus Kinderzeiten hochgeschätzten Pioniereisenbahn (heute Parkeisenbahn) lag. Dahinter befand sich ein von mir kaum beachtetes Ausstellungsgelände. Als man genau dahin ein Werk bauen wollte, war nicht nur ich etwas verdutzt, denn in einer Stadt, die gerade so wie Dresden, sehr stark auf Tradition ausgerichtet ist, war eine Autofabrik etwas schwer Vorzustellendes, zumal es hier nie eine Automobilindustrie gab. Doch die Idee schien schon bald zu gefallen, denn es sollte nicht irgendeine beliebige Fertigungshalle errichtet werden, sondern ein Prestigeobjekt – eine „Gläserne Manufaktur“.
Der Begriff der Manufaktur war mir immer nur mit etwas Edlem wie dem Meissner Porzellan bekannt, das ziemlich kostbar sein musste, denn ich erinnere mich daran wie wir Kinder bei Bekannten meiner Eltern zugegen waren und ein solch kostbares Stück nur aus sicherer Entfernung betrachten konnten. Es in unsere Hände zu geben, durch die es ja hätte durchrutschen können, erschien selbst uns zu gewagt.  Eine Manufaktur schien kostbare Sachen zu produzieren (Manufaktur steht aber von der Wortbedeutung für Handarbeit, was am Beispiel der Arbeitsweise der Gläsernen Manufaktur ebenso (zumindest teilweise) zutreffend ist). Und es wird den Verantwortlichen von Volkswagen ähnlich gegangen sein, denn sie wollten ihr teuerstes Produkt in der Kulturstadt Dresden bauen lassen, den VW Phaeton. Diesen zugegebener Maßen recht preisintensiven Schlitten, sollen Kunden nicht einfach so erwerben, vielmehr sollen sie – einem mündigen Käufer gleich – zuschauen dürfen, wie das Produkt zusammengeschraubt wird. Anders als bei herkömmlichen Produkten wird hier der Herstellungsprozess bewusst für den Käufer geöffnet (etwas was bei vielen anderen Produkten kaum denkbar wäre, wer will schon Fleisch essen, nachdem er ein Schlachthaus besucht hat) und aus dem Produktionsprozess wird eine Show gemacht. Daher leitet sich der Anspruch ab, eine Gläserne Manufaktur zu sein. Ein Betrieb wo das Reinschauen zum Konzept der Arbeit gehört.

All das sollte natürlich nicht irgendwo am Stadtrand geschehen, sondern am besten mitten in der Stadt und da der Theaterplatz schon verbaut war, fand man das Areal am Großen Garten, das auch irgendwie passt, denn hier an der Lennéstrasse befindet sich so etwas wie das „Wochenendviertel“ der Dresdner. Neben dem Großen Garten (mit seinen schönen Wegen, Biergärten, dem Botanischen Garten, dem Open-Air Veranstaltungsgelände „Junge Garde“ und der Parkeisenbahn) kann man auch ins Stadion gehen oder das Hygiene Museum besuchen und selbst wenn das Wetter nicht stimmt, könnte man auch ins Arnhold Bad gehen, da die „Stadtpfütze“ überdacht und beheizt ist.
Die Fabrik liegt fast in so etwas wie in einem Freizeitbereich. Und sie hat selbst Anteil am kulturellen Leben, denn die Gläserne Manufaktur bietet von Zeit zu Zeit durchaus ausgewählte kulturelle Höhepunkte an, seien es nun Konzerte oder Diskussionsrunden, wie das leider nach Wolfsburg umgezogene „Philosophische Quartett“ mit Peter Sloterdijk und Rüdiger Safranski.

Das Gebäude versucht den Ideen des Prestigeobjekts, mit Einbeziehung in das städtische Leben, Rechnung zu tragen. Nach dem Baubeginn im Jahr 1999, wurde das Werk schon 2001 eingeweiht. Verantwortlich für den Entwurf war das Architekturbüro von Gunther Henn, der sich auch schon für andere VW-Vorzeigeobjekte wie die Autostadt in Wolfsburg auszeichnete.
Von außen dominiert auf der Schauseite ein  etwas futuristisch anmutendes Bild, auf den anderen Seiten insbesondere zur Stübelallee sind glatte Glasfassaden bestimmend. Der gesamte fast quadratische Bau ist in zwei Teile getrennt. Der Produktionsteil begrenzt in einer L-Form den Besucher- und Kundenteil. Der Werksteil kann nicht nur durch eine Glasverkleidung eingesehen werden, es ist sogar möglich ihn über Besucherterrassen zu betreten, der Produktionsprozess wird dadurch gewissermaßen auch zu einem kleinen – wenngleich monotonen – Theaterstück. Das es sich bei den Fertigungshallen nicht um eine simple Fabrik mit den üblichen Interpretationen wie Schmutz, Lärm und Hektik handelt, wird schon beim ersten Blick klar. Fast klinisch rein kommt es dem Besucher vor. Die Autos werden auf Parkettfußböden zusammengeschraubt und es wird viel indirektes Licht verwendet, um nach außen hin die Lichtemissionen zu dämpfen. Den Übergang von Werkhalle und Besucherraum stellt inhaltlich ein 40m hoher Turm dar, der als Hochregal, fertiggestellte Phaeton lagert und der dezent im Hintergrund an der Seite des Gebäudes residiert. Das Besucherforum wiederum besteht aus einer „Orangerie“ in der die Produkte des Hauses ausgestellt werden (daher hochpreisige VWs) und auf der Veranstaltungen abgehalten werden können. Als historische Reminiszenz an das Dresdner Kugelhaus, welches 1928 nach Plänen von Dieter Birkenholz in unmittelbarer Nähe stand (und schon in der Nazizeit wieder abgerissen wurde) befindet sich ein kugelförmiger Kinosaal in der Mitte des Besucherbereichs, welcher VW- Werbung präsentiert. Der Eingangsbereich trennt das Restaurant „Lesage“, an welchen sich die Büros der Manufaktur anschließen von einer Kundenlobby, welche ein exklusives Einkaufsgefühl vermitteln soll und auf drei Etagen Käuferberatung, Freizeitgestaltung und Fahrzeugübergabe beheimatet. Dieser Bereich ist nicht für „normale“ Besucher der Manufaktur zugänglich, sondern nur für die neuen (stolzen) Besitzer des Wagens. Vergleichbar ist dieser Teil mit den VIP-Logen, des sich in Sichtweite befindlichen Stadions.

Kritisiert wurde an der Gläsernen Manufaktur, dass ein solches Werk nicht unerheblichen Lastwagen-Verkehr nach sich ziehen würde, schließlich müsse man die Fahrzeugteile für die Endmontage in die Fabrik bringen. Dieser Nachteil wurde aber durch eine sehr hübsche Idee etwas entkräftet, da man sich entschloss, ein Logistikzentrum in der Friedrichstadt zu errichten und zwei Transportstraßenbahnen zwischen beiden Orten pendeln zu lassen, was gleichzeitig ein netter Nebeneffekt auf Dresdens Schienennetz darstellt (die Karosserie wird aber per LKW geliefert). Weiterhin wurde der fehlende Bezug zur Architektur der Stadt kritisiert, insbesondere bei der Materialauswahl (aus Glas und Metall), die keinen Beziehung zu Dresden darstellt. Hier halte ich die Kritik für übertrieben, da man in Dresden traditionell neuer Architektur argwöhnisch zu begegnen versucht und ein Glasgebäude es sowieso schwer hat nicht kritisiert zu werden. Die Gläserne Manufaktur ist vielmehr eine innovative Form der Verknüpfung von zeitgenössischer Produktion, Imagepflege eines Konzerns und urbanen Treffpunkt. Auch wenn sich wohl fast kein Dresdner einen Phaeton leisten kann, ist die Manufaktur eine interessante Adresse, deren ästhetische Außenwirkung besticht und die eine neue Sehenswürdigkeit in der Stadt Dresden darstellt.
P.S. Eine Führung in der Gläsernen Manufaktur kann an dieser Stelle empfohlen werden. Nicht empfohlen wird der Kauf des Architekturführers „Die Gläserne Manufaktur von Volkswagen in Dresden“ aus dem Stadtwandel Verlag. Diese 66 Seiten starke Broschüre von Autor Lars Klaaßen ähnelt sehr einem Werbetext von VW. Wer die Führung besucht hat wird auch nur vereinzelt Neues erfahren, schlimmer wiegt aber der lobhudelnde Ton und das vollkommene Fehlen jeglichen kritischen Geistes, der dem erfolgreichen Projekt „Gläserne Manufaktur“ nicht wirklich gut zu Gesicht steht und nur wie schnell zusammengeschriebene Werbung aussieht.