Die Weißenhofsiedlung

Die 1920er Jahre waren in Europa geprägt von den Auswirkungen des 1.Weltkriegs. In den schnell wieder anwachsenden Städten des Kontinents musste man einen riesigen Mangel an bezahlbaren und lebenswerten Wohnungen feststellen. Wirtschaftliche Probleme (man denke an die Hyperinflation in Deutschland 1923 oder die Weltwirtschaftskrise ab 1929) und politische Instabilitäten prägten das Bild des Jahrzehnts. Gleichzeitig sind die „Goldenen 20er“, wie die Dekade eben auch genannt wird, von einer Welle neuer Ideen und einem Reformeifer in Kunst, Kultur und Technik geprägt, der unter anderem zum Aufleben des modernen Bauens führte. Es sind die 1920er Jahre, in denen erstmals sichtbar, dass modernen Bauen in der Architektur manifestierte und in welchem einige noch heute hochgeschätzte Meisterwerke des Jahrhunderts entstanden. Vielleicht kann man sogar so weit gehen und sagen, dass es im Ganzen 20.Jahrhundert kein Jahrzehnt mehr geben sollte, was ähnlich innovativ und vielfältig, so radikal Neues schuf. Es war die Zeit gekommen, als sich die Moderne in der Architektur formte und gegen das alte historisierende Bauen durchzusetzen begann, eine Zeit neuer und radikaler Ideen, in der die Ästhetik des restlichen Jahrhunderts entstand.  

Architektonische Meisterwerke wie die Villa Poissy bei Paris von Le Corbusier, Mies van der Rohes Deutschen Pavillon in Barcelona oder Erich Mendelsohns Einsteinturm in Potsdam sind nur einige der Leuchttürme eines neuen baulichen Stils. Doch die Moderne war nicht nur ein Versuch althergebrachtes Bauen radikal anders zu machen, sie hatte gleichzeitig den Anspruch, eine bessere und vor allem lebenswerte Welt herzustellen. Getragen wurde diese Intention von den vollkommen unzureichenden sozialen Bedingungen, die sich schon weit vor dem 1.Weltkrieg in den Städten breit machten. Diese gehen immer noch zurück auf die Urbanisierung im 19.Jahrhundert. Getragen von der Industriellen Revolution wurde aus überschaubaren Städtchen innerhalb von Jahrzehnten ständig anwachsende Moloche verdichtet untergebrachter Menschenmassen. Waren in Europa zum Ende des 19.Jahrhunderts gerade einmal die schlimmsten hygienischen Katastrophen eingedämmt wurden, so war es nun höchste Zeit den Gegenstand des guten, oder wenigstens akzeptablen, Wohnens für die Einwohner der Stadt konsequent anzugehen. Das „Neue Frankfurt“ unter Ernst May kann als Musterbeispiel für das Bemühen gesehen werden, neuen Wohnraum mit einer zeitgenössischen Formensprache zu errichten. Kann man im „Neue Frankfurt“ die praktische Anwendung des „Neuen Bauens der Moderne“ sehen, so ist die Weißenhofsiedlung – um die sich dieser Artikel dreht – so etwas wie der Konstruktionsplan, die Mustersiedlung, der Leistungskatalog der Moderne.

Der deutsche Werkbund, eine 1907 in München gegründete Vereinigung von Künstlern, Architekten, Industriellen und Handwerkern, gelang es 1925 die Stadt Stuttgart als Partner für eine Ausstellung zum modernen Wohnen zu gewinnen. Hierfür war insbesondere die württembergische Arbeitsgemeinschaft des Bundes unter Gustav Stotz verantwortlich, der den Oberbürgermeister Karl Lautenschläger von einem Projekt mit internationalem Inhalt und Strahlkraft überzeugen konnte. Schließlich erklärte sich die Stadt bereit, 1927 eine Ausstellung zum Thema „Wie Wohnen?“ abzuhalten. Vier Teile prägten die Ausstellung, erstens eine Schau in neun Messehallen in der Stadtmitte mit dem Titel „Einrichtung des Hauses“, wo Firmen neue Einrichtungsgegenstände vom Staubsauger über Bodenbeläge bis hin zur Haustechnik präsentierten. Zweitens eine „Internationale Plan- und Modell-Ausstellung Neuer Baukunst“ in welchem Projekte von 129 eingeladenen Architekten aus zehn Ländern präsentiert wurden (eine Art Projektsammlung des who is who der frühen Moderne). Drittens ein Experimentiergelände auf dem Killesberg, wo Baumaschinen und Baustoffe gezeigt wurden und viertes eine, gleich in direkter Nachbarschaft davon entstehende Musterhaussiedlung mit 33 Häusern, die den Titel „Der Bau des Hauses“ trug und heute unter dem Titel „Weißenhofsiedlung“ (der Titel bezog sich auf einen hier stehenden Bauernhof) in die Geschichte der Architektur eingegangen ist.
Ludwig Mies van der Rohe wurde vom Deutschen Werkbund mit einem Bebauungsplan beauftragt und übernahm die künstlerische Leitung der Ausstellung. Nach einem Auswahlverfahren lud er schließlich 17 Architekten ein, welche jeweils eine Parzelle Bauland bekamen. Gemeinsam wurde festgelegt, welcher Haustyp vom wem erbaut werden sollte. Mies van der Rohe ordnete das Baugebiet, das am Gefälle des Killesberg liegt, so an, dass niedrigere Gebäude weiter unten am Hang und höhere weiter oben stehen sollten, so dass für alle Wohnungen eine gute Belichtung und ein guter Blick ins Tal möglich waren. Gebaut werden sollten nur Einfamilien-, Reihen- oder Mehrfamilienhäuser, alle jedoch mit Wohnungen, die sich der normale Bürger leisten konnte. Tatsächlich erwies sich das als Trugschluss, denn die anfangs aufgerufenen Preise waren für die damaligen Einkommensverhältnisse sehr hoch bis astronomisch. Erst als die Stadt Stuttgart, als Besitzerin der Wohnungen, die Mietpreise 1928 halbierte, fanden sich genügend Mieter für die Siedlung. Eine Grundregel mussten die Architekten beherzigen, alle Bauwerke sollte ein Flachdach haben. Tatsächlich gilt noch heute das Flachdach als ein stilprägendes Element der Moderne, ein Element, an dem sich noch lange ein – teilweise sehr oberflächlicher – Streit über die Ästhetik der Moderne entzünden sollte, auf dem wir später zurückkommen werden. An dieser Stelle sei nochmals bemerkt, 1927 war die Moderne noch eindeutig nicht die Form des Establishments, des vorherrschenden Seheindrucks, sondern etwas ziemlich bis vollkommen Neues, eine Architekturrevolution an deren Anblick sich viele erst einmal gewöhnen mussten.
Der Anspruch sowohl der Weißenhofsiedlung als auch der gesamten Baubewegung der Moderne in den 1920er Jahren war (und ist) international, was gleichfalls die Plan- und Modellausstellung deutlich machte. Natürlich sollten ebenso die Häuser auf dem Weißenhof diesem internationalen Anspruch gerecht werden und so lud Mies van der Rohe Architekten aus mehreren Ländern ein. Diese waren: Peter Behrens, Victor Bourgeois (Belgien), Le Corbusier zusammen mit seinem Bruder Pierre Jeanneret (Schweiz), Richard Decker, Joseph Frank (Österreich), Walter Gropuis, Ludwig Hilbersheimer, Pieter Oud (Niederlande), Hans Poelzig, Adold Rading, Mart Stam (Niederlande), Hans Scharoun, Adolf Schneck, Bruno und Max Taut. Diese damals zum Teil kaum bekannten Architekten stehen heute als Wegbereiter solcher Tendenzen wie De Stijl, Rationalismus, Funktionalismus, Bauhaus oder das organische Bauen in den Almanachen der Architekturgeschichte.

Äußerlich ist der erste Eindruck der Weißenhofsiedlung recht einheitlich. Alle Häuser haben eine kubische Bauform, die schon angesprochenen Flachdächer und insbesondere für die damalige Zeit ungewöhnlich große Fensteröffnungen, die gern zu Fensterbändern zusammengeschlossen wurden. Ihnen fehlte jegliches Zierelement auf ihren schmucklos verputzten weißen Fassaden. Neu war ebenfalls das diese Häuser in ihrer Aussicht zum Tal hin orientiert waren, nicht zur Straße hin. In der Größe betont waren die Wohnräume, während die Funktionsräume eher klein gehalten waren. Dafür konnten variable Anpassungen in den Wohnungen vorgenommen werden, durch Schiebe- und Faltwände konnten die Bewohner Räume nach ihrem Wohngeschmack arrangieren. Gleichfalls waren natürlich alle Wohnungen mit moderner Haustechnik ausgestattet; alle hatten ein eigenes Bad, alle Häuser hatten zentrale Heizungen und in jede Küche verfügte über Gasanschluss, welche die damals gängigen Kohleöfen obsolet erscheinen ließen.
Dieser einheitliche Eindruck erweist sich jedoch bei genauem Hinsehen als voreilig, denn „die einzelnen Bauten dieses zeitgenössischen Museums internationaler Architektur [zeigten] sehr unterschiedliche Ansätze. Das Haus Scharouns bestand aus sich überschneidenden Kurven und wirkte im Vergleich zur stereometrischen Disziplin der anderen Entwürfe geradezu expressionistisch. Le Corbusiers größeres Gebäude mit seinen pilotis, dem glatten, schwebenden Kasten, den großen Glasflächen, den nautischen Anklängen und der nahezu fantastischen Demonstration der cinq points kontrastierte wiederum mit Mies van der Rohes geschlossenerem, erdgebundenen, planimetrischen Apartmentgebäude.“ (Curtis S.259) Hier zeigt sich schon die Unterschiedlichkeit, welche die Bewegung des modernen Bauens schnell bekam, mit ihren mannigfachen Ausprägungen und Formentendenzen. Im Kontext zur bestehenden Tradition jedoch, blieb jedoch gleichfalls der Eindruck eines Neuen Bauens, der aufgrund seiner offenen Multinationalität später auch als „International Style“ bezeichnet werden sollte (Henry-Russel Hitchcock und Philip Johnson gaben dem wirkungsmächtigen Ausstellungskatalog ihrer Schau über neues Bauen im New Yorker Museum of Modern Art diesen Namen, der schnell zu einem Etikett für eine allerdings – wie gerade bemerkt – sehr unterschiedliche architektonische Richtung wurde). Tatsächlich ist zu bemerken, dass sich „1927 erstmals eine internationale Front“ (Curtis S. 198) für diese neue Form der Architektur bildete und daran hatte die Weißenhofsiedlung einen entscheidenden Anteil. Auch wenn der Werkbund noch fünf weitere Siedlungen in der Nachfolge Stuttgarts plante (Brünn, Breslau, Zürich, Wien und Prag) blieb der Weißenhof doch das Sinnbild für das neue und moderne Bauen, ein heute noch begehbares Monument der Architekturgeschichte.
Gleichwohl hatte es dieses Sinnbild schwer. Anfeindungen waren schon seit seiner Entstehung zu hören. Oberflächlich arbeiteten sich diese am Flachdach ab, das insbesondere von konservativen Architekten und Denkern als undeutsch galt und selbst der Volksmund sprach schnell vom „Araberdorf“, oder der „Vorstadt Jerusalems“. Schon zu Beginn der 1930er Jahre wurde eine Gegenbebauung in Stuttgart errichtet, die Kochenhofsiedlung, in welcher explizit jedes Gebäude unbedingt ein Satteldach tragen musste (selbst anhängende Schuppen). Später diffamierten auch die Nationalsozialisten die Weißenhofsiedlung (beispielsweise mit einer ebenso lächerlichen wie diffamierenden Postkartencollage) und waren bestrebt hier einen Neubau der Militärverwaltung zu bauen und damit die „undeutschen“ Häuser abzureißen. Allerdings war paradoxerweise der 1939 von ihnen gestartete 2.Weltkrieg dafür zuständig, dass es nicht zum Abriss und Neubau kam. Jener Krieg allerdings zerstörte einige Häuser des Areals, da sich hier eine Flakstellung befand, welche beschossen wurde. Auch in der jungen Bundesrepublik war die architektonische Qualität des Weißenhofes anfangs kaum bemerkt worden.1956 fielen die Häuser Adolf Radings und Bruno Tauts dem Abriss zum Opfer und erst als die Bauwerke Le Corbusier ein ähnliches Schicksal ereilen sollte, stellte man 1958/59 das gesamte Ensemble unter Denkmalschutz. Tatsächlich waren schon zu jenem Zeitpunkt zahlreiche Häuser stark entstellt, umgebaut oder in einem allgemein recht bedauerlichen baulichen Zustand. Der anlässlich des 50.Jahrestages der Eröffnung 1977 gegründete Verein „Freunde der Weißenhofsiedlung“ bemühte sich seit den 1980er Jahren um eine Sanierung der Bauwerke mit dem Ziel eine ursprünglichere Beschaffenheit wiederherzustellen. Lediglich das Doppelhaus von Le Corbusier wurde 2002 bis 2006 nochmals restauriert und nicht nur in den Originalzustand gebracht, sondern auch als Museum eröffnet, in welchem man sich zum einen zur Geschichte Siedlung informieren kann und zum anderen einen Eindruck von der Inneneinrichtung der Wohnungen bekommt. 2016 wurde der Museumsbau als Teil der Bauten von Le Corbusier zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt.

 

Literatur:

Valerie Hammerbach, Anja Krämer- 2015 – „Die Werkbundsiedlung Stuttgart Weißenhofsiedlung (Bauhaus Taschenbuch Nr.14); Spector Book
Dieses kompakte Buch bietet einen wunderbaren Überblick über Geschichte, Bedeutung und Inhalt der Weißenhofsiedlung

William J.R. Curtis – 2002 – „Moderne Architektur. Seit 1900“ – Phaidon

Im Standartwerk zur Modernen Architektur findet natürlich auch die Weißenhofsiedlung ihren Platz, wer sich zum modernen Bauen belesen möchte, der kommt an diesem wundervollen Buch (vielleicht einem der besten Architekturbücher überhaupt) nicht vorbei

Der Bahnhof

Aufteilung in BahnhofstypenPhasen des BahnhofsbausDie Elemente des BahnhofsDer Bahnhof und die StadtLiteratur

Einleitung

Obwohl Bahnhöfe nur ganz selten älter als 150 Jahre sind, haben sie sich doch tief in die DNA einer jeden Stadt eingebrannt. Sie sind nicht nur Orte des Transits, des Verlassens und Ankommens, sondern haben auch eine eigene urbane Lebenswelt erschaffen und nicht zuletzt sind sie erstaunliche architektonische Leistungen, die wegen ihrer Größe und Lage, das Aussehen einer Stadt mitbestimmen.
Bahnhöfe können auch zum Mittelpunkt städtischen Lebens werde, ohne das von ihrer Transitfunktion Gebrauch gemacht wird. Als Dresdner erinnere ich mich (wenngleich nur vom Hören-Sagen) an den Herbst 1989, als der hiesige Hauptbahnhof Zentrum einer sich bildenden Protestbewegung wurde. Der Bahnhof war damals dunkel und vor allem sehr schmutzig, eine Entwicklung die in die 1980er Jahre passt, als Bahnhöfe (fast schon weltweit) einen schweren Stand hatten. Erst als ein führender Politiker (leider erinnere ich mich nicht wer) mit dem Zug nach Dresden kommen sollte, wurde ordentlich geputzt und gesäubert, was den normalen Bürger und Zugbenutzer natürlich aufregte, weil es implizierte das für den täglichen Bedarf es ruhig schmutzig aussehen durfte. Einige Zeit später sollten die Prager Botschaftsflüchtlinge in die BRD ausgefahren werden, wobei die Strecke durch den Hauptbahnhof verlief, ohne das die Züge hier stoppen sollten. Der potentiell republikflüchtige und konterrevolutionäre Teil der Dresdner ließ sich die Gelegenheit nicht nehmen, den Zug vielleicht sogar zu stoppen, um selbst mit aufzuspringen. So kam es zu einem heftigen Polizeieinsatz. Und auch als sich später die Gruppe der 20 bildete, die zwischen Demonstranten und politischer Führung im Herbst 1989 vermitteln wollte, setzte sich diese Gruppe auf der Prager Straße in unmittelbarer Nähe des Bahnhofs zusammen.
Allein diese Ereignisse aus dem Jahr 1989 zeigen, welche große, über einen Nicht-Ort des Transits hinausgehende Bedeutung, ein Bahnhof in einer Stadt haben kann. Deshalb werfen wir als nächstes einen Blick auf Bahnhöfe, als erstes mit der Frage, welche Typen man grob unterscheiden kann, dann welche Phasen im Bahnhofsbau geschichtlich identifiziert werden können, bevor wir einige Elemente des Bahnhofs herausarbeiten und als folgenden Punkt wollen wir grob umreißen, welche Rolle der Bahnhof bei der Umgestaltung und Erweiterung der Stadt gespielt hat. Als letztes sollen einige Bahnhöfe vorgestellt werden.

Aufteilung in Bahnhofstypen

Bahnhöfe tauchen in den unterschiedlichsten Formen in der (Stadt-)Landschaft auf. Ganz grundsätzlich kann man zwischen Güter- und Personenbahnhöfen unterscheiden. Güterbahnhöfe sollen hier nicht weiter betrachtet werden. Personenbahnhöfe wiederum können nach ihrer Lage im Liniennetz unterteilt werden (beispielsweise Endbahnhof, Kreuzungsbahnhof etc.). Wesentlich interessanter ist jedoch eine Einteilung von Personenbahnhöfen nach ihrem Grundriss. Damit zeigen sich die Formen, die der Bahnhof in der Stadt einnimmt und die Verbindungen mit dem einen Bahnhof das Aussehen einer Stadt formt.

Die häufigste Form des Bahnhofs ist der Durchgangsbahnhof. An ihm kann ein einfahrender Zug, zur anderen Seite wieder ausfahren. Sonderform des Durchgangsbahnhofs ist der Reiterbahnhof, bei dem das Empfangsgebäude quer über den Gleisen gebaut wurde. Ein bekanntes Beispiel ist der Hauptbahnhof Hamburg. Eine andere Form ist der Inselbahnhof, wo die Gleise das Empfangsgebäude komplett umschließen, so wie beispielsweise in Halle (Saale).  So etwas wie ein doppelter Durchgangsbahnhof ist ein Turm- oder auch Etagenbahnhof. Hier führen die zumeist durchgehenden Gleisanlagen auf unterschiedlichen Ebenen über- bzw. untereinander vorbei. Ein bedeutendes Beispiel dafür ist der Hauptbahnhof Berlin, wo sich die Strecken von Ost nach West und Nord nach Süd auf unterschiedlichen Ebenen kreuzen.

Dem gegenüber ist bei einem Kopfbahnhof keine Durchfahrt möglich. In Kopfbahnhöfen endet das Gleis. Diese Grundrißform entstand in der 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Da man keine Eisenbahnverbindung weiter in die Innenstädte vorließ, oder die Grundstückspreise einen Weiterbau nicht finanzierbar machte, entstanden an den zumeist an den damaligen Stadträndern Kopfbahnhöfe. Hatte die Stadt noch eine Stadtmauer, so wurden die Stationen bis zu diesen gebaut. Nachdem Verschwinden der städtischen Befestigungen wurden so die Bahnhöfe zu so etwas wie den Toren zur Stadt für ankommende und abfahrende Passagiere. Da die Städte auch durch die Anbindung der Eisenbahn enorm wuchsen, finden sie sich heute am Rande der Innenstadt wieder. Meist konnten, insbesondere in größeren Städten, mehrere Kopfbahnhöfe errichtet werden, da es unterschiedliche Eisenbahngesellschaften gab. Das konnte sogar zu einer ganzen Reihe von Bahnhöfen in unmittelbarer Nähe führen, wie in London, wo keine Bahnlinie näher an die Stadt ranfahren durfte,  als bis zur Euston Street. Tatsächlich konnten sich aber zahlreiche Gesellschaften mit ihren Gleisen dort treffen, bauten jedoch jeweils eigene Bahnhöfe, die man auch heute noch so finden kann, mit der Euston Station, Kings Cross und St.Pancras Station. In anderen Städten wurden diese Bahnhöfe später zusammengelegt, wie in Frankfurt oder Leipzig (wo je drei Endhaltestellen auf engstem Raum ankamen) und riesige Großbahnhöfe entstanden.

Phasen des Bahnhofsbaus

Im späten 19. Jahrhundert und frühen 20. Jahrhundert hatten neue Bahnhofsbauten  eine große architektonische Bedeutung. Die Eisenbahn wurde zum bedeutendsten und fortschrittlichsten Transportmittel der Welt. Sie revolutionierte nicht nur das Reisen, sondern die gesamte Lebensweise der Menschen, die in der Nähe eines Eisenbahnanschluss wohnten. Um nur ein Beispiel zu nennen, die heutigen Zeitzonen unserer Erde, mussten erst durch die Erfindung der Eisenbahn geschaffen werden, da man eine standardisierte Zeit für die korrekte Abwicklung der Fahrpläne benötigte. Durch die Bahnfahrt wurde eine Distanz nicht mehr räumlich, sondern zeitlich gedacht (das geschieht auch heute noch, neue Hochgeschwindigkeitsstrecken werben mit der Zeitersparnis gegenüber alten Routen).
Die Eisenbahn erneuerte die Bewegung der Menschen. Jede Stadt wollte daher im 19. Jahrhundert möglichst schnell an das Eisenbahnnetz angeschlossen werden und so wurde auch der Bahnhofsbau zu einem Brennpunkt der Bauplanung. Schon allein wegen seiner fortschrittlichen Rolle, wurde er zu einem der zukunftsweisendsten Bauwerke der Stadt.
Obwohl die Literatur über Bahnhöfe eher bescheiden anmutet, wenn man ihre Größe und Bedeutung betrachtet (eine kleine Aufstellung findet sich am Ende des Beitrags), hat sich doch eine historische Einteilung für den Bau von Bahnhofsgebäuden durchgesetzt.
Die erste Phase war die Pionierzeit von 1830 bis 1850. Erste Linien wurden angelegt und verbunden. Der Bahnhof wurde dabei der Poststation nachgeahmt, die bis zu seiner Erfindung für den Betrieb der Postkutschen zuständig war und bei denen die Pferde gewechselt wurden. Die ersten Bahnhöfe wurden daher auch im Abstand von rund 15 bis 20km eingerichtet, um die Wasser- und Kohlenvorräte zu erneuern. Daraus entstammt auch der Name „Bahnhof“ im deutschen Sprachgebrauch, da es sich um eine geschlossene Anlage für die Eisenbahn handelte. Er bestand aus Hochbauten auf beiden Gleisseiten, die mit Zäunen gesichert wurden, wobei sogar die Gleise umzäunt waren.
In den 1850er Jahren folgte die Phase der Vereinheitlichung, die vor allem besagt, dass aus einzelnen Linien, Netze wurden. Auch die unterschiedlichen Spurweiten pegelten sich ein, was hauptsächlich daran lag, dass die Lokomotiven aus Großbritannien gekauft wurden und damit die Spurweiten vorgegeben wurden. Bahngesellschaften versuchten verstärkt bei ihren Stationen ein einheitliches Bild abzugeben.
 Von 1860-90 folgte die Phase der stilistischen Verfeinerung. In dieser Zeit kann für Europa festgestellt werden, dass die Hauptrouten fertiggestellt wurden und der Ausbau kleinerer Strecken begann. Dem folgte bis zum 1.Weltkrieg die Phase der Megalomanie, dass heißt der Bahnhofsbauten die immer größer und gigantischer wurden. Diese entstanden, da Vereinheitlichungen vorgenommen wurden und Großbahnhöfe die vielen kleinen Haltepunkte, die gern auch nebeneinander lagen, vereinen sollten.
Danach sind die Einteilungen nicht mehr einfach zu treffen, da je nach Nation unterschiedliche Wege gegangen wurden. Der 2.Weltkrieg betraf insbesondere Europa und führte zu riesigen Beschädigungen die selbstverständlich auch Bahnhöfe trafen, die sehr häufig Ziele der Bombardements wurden. Klar ist, dass nach dem 2.Weltkrieg das Zeitalter des Automobils begann und damit die Eisenbahn zurück gedrängt wurde. Spätestens in den 1960er Jahren ist ein massiver Rückbau von Bauwerken zu beobachten gewesen, einige der besten und schönsten Stationen vielen dem Abriss zum Opfer, so wie die historische Penn Station in New York oder die alte Euston Station in London. Auch wenn zu jener Zeit die ersten Bewegungen entstanden, die darauf drängten Bahnhöfe als kulturelles Erbe zu erhalten (und die einigen Erfolg hatten, wie sich an der Grand Central Station in New York zeigt, die abgerissen werden sollte, oder am Gare d’Orsay in Paris, der zwar kein Bahnhof blieb, aber zu einem Kunstmuseum umgebaut wurde), konnte man bis in die 1980er Jahre hinein, eine zunehmende Verwahrlosung von Bahnhöfen feststellen, die dann ab den 1990er Jahren in einer Renaissance endeten, als Bahnhöfe mit neuen zusätzlichen Funktionen ausgestattet wurden. Bahnhöfe wurden zu Orten des Konsums, nicht nur für die Reisenden, sondern auch für andere Bürger, die lediglich seine nicht enden wollende Öffnungszeiten benutzen wollten. Damit veränderte sich sukzessive seine Eigenschaften und teilweise wurden Bahnhöfe zu Malls mit Gleisanschluss.

Die Elemente des Bahnhofs

Als gegen 1830 die ersten Bahnhöfe gebaut wurden, folgten diese Bauten meist dem architektonischen Stils des Zeitgeistes von Neogotik oder Neoklassik. Trotzdem durften Architekten beim Bahnhofsbau durchaus Neuerungen einsetzen, war doch der Bahnhof Symbol einer modernen Welt. Einige Eisenbahngesellschaften wollten einen eigenen, wiedererkennbaren Stil durchsetzen, während bei anderen Unternehmen der Architekt frei entscheiden konnte, was er für die beste stilistische Lösung hielt. Die ersten Stationen hatten zumeist ein Verwaltungsgebäude, was an der Längsseite des oftmals einzigen Gleises stand. Später wurden doppelseitige Bahnhöfe gebaut, an Endpunkten Kopfbahnhöfe. Die ersten Bahnsteighallen, die mehrere Gleise in sich vereinten, wurden fast immer mit einem gewölbten Dach gebaut. Interessanterweise war dies aber keine Tätigkeit für einen Architekten. Es sollte von den künstlerisch weniger beschlagenen und solideren Ingenieuren konzipiert werden, die für Innovationen bekannt waren, aber nicht für Kunst. Diese bauten  leichte, weite Hallen, deren Bogenrippen erst aus Holz, später aus Eisen errichtet wurden. Das erste gewölbte Eisendach entstand 1849 an der Liverpooler Lime Street Station. Diese Hallen wurden mit den Jahren immer größer und orientierten sich an den neuesten Stand der Technologie, welcher sich zumeist in den großen Ausstellungsgebäuden der Weltausstellungen der 2.Hälfte des 19. Jahrhunderts zeigte.  Später wurden die Hallen sogar mehrfach überspannt. Den Rekord hält der Leipziger Hauptbahnhof, der sechsfach überspannt ist.
Jedoch waren es meist die Abmessungen der Bahnsteighalle, welche die Größe des Gesamtbaus definierte. Das Empfangsgebäude, das für das künstlerische Aussehen des Bahnhofs stand, wurde von Architekten erdacht, wobei es dabei durchaus Spezialisten für Bahnhofsarchitektur gab. Selbstverständlich waren diese Bauwerke nicht nur rein funktionale Bauten, sondern mussten auch Repräsentieren, ob nun die Stadt oder die Eisenbahngesellschaft oder beide zusammen. Hier lassen sich zwei Merkmale aufzeigen, die für Bahnhofsgebäude typisch wurden.
Seit den 1880er Jahren kamen Torbögen an der Eingangsfront in Mode. Sie hatten zum einen die symbolische Funktion, als ein neues Stadttor zu fungieren (man darf nicht vergessen, die meisten Stadtmauern und Tore wurden erst im 19. Jahrhundert abgerissen und waren noch nicht weit aus dem kollektiven Gedächtnis entschwunden). Zum anderen hatten sie den gewachsenen Andrang an Passagieren zu bewältigen, denn die Eisenbahn wurde zu dem Massentransportmittel schlechthin. Dabei konnte der Torbogen sich in der Fassadengestaltung wiederholen. Steve Parissien schreibt, dass deutsche Bahnhöfe besonders gern dreibogige Eingänge haben.
Ein weiteres typisches Bahnhofscharakteristikum ist die Turmuhr oder auch der Uhrenturm, der sich gegen Ende des 19. Jahrhunderts durchsetzte und die die Rolle der Zeit nochmals objektiv darstellte. Diese Türme unterbrachen zumeist die eher horizontale Wirkung der breiten Bauten und fügten ein vertikales Element ein. Eine der ersten Uhrentürme wurde von George Gilbert Scott am ausschweifenden Bahnhof St. Pancras in London angebracht. Uhrentürme konnten dabei sowohl als symmetrisches Element in die Mitte der Gesamtstruktur eingebaut werden, gleichfalls eigneten sie sich aber auch als unsymmetrisches Bauteil, dass den Bahnhof auflockerte. Uhrentürme waren bei Nord- und mitteleuropäischen Bahnhöfen übrigens weitaus verbreiteter als in Südeuropa.

Ein Bahnhof besteht aus sehr unterschiedlichen Elementen. Als wichtigstes ist natürlich die Anbindung an seine Infrastruktur zu bemerken. Das heißt, es führen Gleise durch oder um die Stadt bis ins Gebäude hinein. Die Gleise im Bahnhof sind zumeist überdacht, entweder mit einem Bahnsteigdach oder in Form einer Bahnhofshalle, die imposante Maße annehmen kann. Die ersten Bahnhöfe hatten zumeist auch ein Verwaltungsgebäude, was an der Längsseite des oftmals einzigen Gleises stand. Später wurden doppelseitige Bahnhöfe gebaut, dass heißt an beiden Seiten befanden sich Gebäude, dessen Zweck es zu Beginn des Eisenbahnzeitalters war, die ankommenden und die abfahrenden Passagiere voneinander zu trennen und Ein- und Ausstieg zu regeln, so wie man es heute noch bei Flughäfen kennt. Diese Bauwerke wurden auch als Empfangsgebäude bezeichnet.  Am Anfang war dies zumeist nur ein simpler Bau, der aber mit der Zeit zunehmende Wichtigkeit errang, weil er neben seinen Funktionen auch repräsentieren musste. Diese Bauwerke standen zumeist neben den Gleisen, auch bei Kopfbahnhöfen. Erst danach entstanden unterschiedliche Grundrissformen. Erst danach entstanden unterschiedliche Grundrissformen. Gerade Kopfbahnhöfe konnten U-förmig, L-förmig oder auch mit anderen Lösungen die Gleise umbauen. Dabei entstand auch der Querbahnsteig (daher die begehbare Fläche die rechtwinklig nach dem Ende der Gleise begann), der anfangs noch geteilt war, zum einen als Teil der Empfangshalle, zum anderen als Teil der Bahnsteighalle.
Das gesamte Prozedere der Bahnreise war anfangs von einigen Regeln geleitet, welche die Reise erheblich zeitaufwändiger machten, als wir dies heute praktiziert wird. Kann man heutzutage, quasi in letzter Minute, noch seinen Zug bekommen, war die Bahnreise früher ein sehr geordneter Prozess, der sich tatsächlich mit der heutigen Flugreise vergleichen lässt. Die Passagiere fanden sich weit vor dem Abfahrtszeitpunkt der Reise ein und saßen in einem Wartesaal, welcher auch nach Klassen unterteilt werden konnte. Sie wurden dann für ihren Zug aufgerufen und zum Bahnsteig geleitet. Mit der Vereinfachung dieses recht aufwendigen Prozesses, wurden architektonische Veränderungen möglich. Die Wartesäle verloren an Bedeutung, das Empfangsgebäude wurde zum Durchgang degradiert. Der Zug konnte nun zügig, vom Eingang des Bahnhofsvorplatzes über die lange Empfangshalle erreicht werden. Im Mittelpunkt standen dabei die Fahrscheinschalter, an denen Billets erworben werden konnten. In den Zwischenräumen siedelten sich kleine Verkaufsläden an, die Reisebedarf anboten. Heute sind daraus, oft nach massivem Umbau, ganze Malls geworden, wie am Leipziger Hauptbahnhof. Diese gestalten die Funktionalität eines Bahnhofes erheblich um. Teilweise werden aus Bahnhöfen dann Einkaufszentren, die mit anderen Shoppingcentern in der Stadt konkurrieren. Dabei können sie teilweise ihren Charakter als öffentlicher Ort stark verändern. 

Am Ende des 19.Jahrhunderts zeigte sich, das Hochbauten im Vergleich zur Trassierung und zur Wartung der Strecke recht preisgünstig waren, wodurch sich die Überlegung ergab, zu Werbe- und Repräsentationszwecken stattliche und bewundernswerte Bauwerke zu errichten. Weiterhin entwickelten sich die Bahnhöfe zu Orten des öffentlichen Raumes der Stadt, die sich aber von anderen Bauwerken im urbanen Kontext unterschieden. So war es nicht das Empfangsgebäude, welches das Stadtbild erneuerte, sondern die Bahnsteighalle, welche sich zumeist dahinter emporschwang. Für die bauliche Qualität sprach dann, wenn es einem Bahnhof gelang Halle und Empfangsgebäude in eine künstlerische Einheit zu bringen.
Eine Bahnsteighalle gehörte bald zum guten Ton eines Bahnhofes, denn man wollte die Passagiere nicht den Wetterbedingungen aussetzen. Diese Hallen wurden zu den charakteristischen Gebäuden des 19. Jahrhunderts und waren damals der Höhepunkt an baulichen Möglichkeiten der Raumbedeckung mit immer größerer Spannweite. Hatten die ersten Bahnhöfe zumeist nur einfache Zimmermannsdächer, so wurden später Gus- und Schmiedeeisenkonstruktionen herangezogen, auch weil sie einen höheren Schutz vor Feuergefahr brachte. Ab der Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Stahlkonstruktionen für die Dachträger üblich. Obwohl gerade nach der Jahrhundertwende die Hallen immer gigantischer wurden, gab es doch auch Bahnhöfe, die es bei einem simplen Bahnsteigdach beließen. Ein Beispiel ist der der Madrider Bahnhof Chamartín, ein Neubau aus den 1970er Jahren, der nur mit Bahnsteigdächern und ohne Halle gebaut wurde.

Der Bahnhof und die Stadt

Historisch gesehen folgt der Bahnhof dem Postkutschverkehr. Deren Abfertigungsstationen lagen zumeist mitten in der Stadt und unterschieden sich kaum von anderen Häusern der Ortschaft. Nur der Name des nahen Gasthofes „Zur Post“ und alte Postmeilensäulen erinnern heute noch daran. Mit der Bahn ändert sich die Position der Stationen der neuen Transportmittel, denn die ersten Bahnhöfe lagen außerhalb der Stadtmauern, da innerhalb dieser das Land stark benutzt und teuer war. Doch mit der Eisenbahn kam die Veränderung. Die Transformation der engen mittelalterlichen Stadt zur modernen Stadtlandschaft, die sich so rasend schnell im 19. Jahrhundert vollzieht ist das „Resultat der Industriellen Revolution im allgemeinen, der Transportrevolution der Eisenbahn im besonderen.“ (Schievelbusch; S. 158). Die Eisenbahn war – zumindest in Europa – mitverantwortlich für die dichte Bebauung in der Innenstadt und sie prägte den Charakter der ihr anliegenden neuen Vorstädte, nicht zuletzt war sie ein entscheidender Faktor des Immobilienmarktes des 19. Jahrhunderts.  
Der neu entstehenden Bahnhöfe hatte bald eine Scharnierfunktion (der Ausdruck stammt von Thomas Hengartner aus seinem Aufsatz „Bahnhöfische Welten“) in der Stadt eingenommen. Erst war er ein Appendix, der am Rande der Stadt gebaut wurde, doch wurde er bald zu einer Schleuse, der den Strom der Reisenden in die Stadt hinein bündelte. Der Bahnhof wurde das Tor zur Stadt, für Personen, die in sie hinein wollen, gleichzeitig aber auch das Tor zur Welt, für die Reisenden, die die Stadt verlassen wollten. Schon das ist in gewisser Weise in die Architektur – gerade von Kopfbahnhöfen – eingeschrieben. Das steinerne Gebäude des Empfangsgebäudes ist der Stadt zugwendet und hat eine urbane Dimension, während die weite Bahnsteighalle dahinter die Ausweitung des Raumes mit seinen oft riesigen Bögen bereits andeutet. Außerdem geht dieser Einteilung eine langsame lebensweltliche Annäherung der Stadtbewohner und Passagiere voraus. Das steinerne – dem Stadtbild einbezogene – Gewand der Empfangshalle, milderte in gewisser Weise die dahinterliegende Technologie ab und bettete sie in die Stadt ein. Die zur damaligen Zeit als futuristisch einzuordnenden Hallen, wurden also gegenüber dem alten Stadtkern etwas versteckt.
Wie schon erwähnt, wurde die Eisenbahn zu einem gewaltigen Faktor für die Industriealisierung, insbesondere in Europa. Wo ein Bahnhof entstand, konnte sich neue Industrie ansiedeln. So wurde der Bahnhof auch schnell zu einem Faktor für frühe Segregation. Die Innenstadt wurde zu einem Zentrum, in das Menschen einströmen konnten.
Auf der anderen Seite der Bahnhöfe, abgewandt vom Stadtkern entwickelten sich städtische Infrastrukturbauten (wie Gaswerke, Schlachthöfe etc.) ebenso wie Wohnanlagen für die unterprivilegierten Schichten. Die jeweilige Dynamik der städtischen Entwicklung spielte hier eine große Rolle. In London beispielsweise wurden die Bahnanlagen nur durch proletarische und damit billige Gebiete gebaut. Die Bahnhöfe im armen East End konnten viel tiefer in die Stadt eingesetzt werden, als im reichen West End, wo sie nur an der Peripherie entstanden. Gleichzeitig wuchs die Stadt schier unaufhörlich und bald lagen die Bahnhöfe nicht mehr am Rande, sondern fast in ihrer Mitte.
Der Bahnhof trug nach seiner Eröffnung auch zu einer erheblichen Steigerung des Verkehrsflusses in der Stadt bei. Die umliegenden Straßen veränderten ihren Charakter in großer Geschwindigkeit. Die Bahnhofsstraße entstand, welche – wie gerade gesagt – die Station mit dem Stadtkern verband und die strömenden Menschenmassen anzog. Das ging nicht ohne eine Erweiterung oder gar einen Neubau, der bisherigen Struktur. Straßenbahnen rollten über sie, Geschäfte der neuen bürgerlichen Welt eröffneten und luden zum Konsumieren ebenso ein, wie zum Flanieren. Das Kaufhaus entstand nicht zufällig auf diesen neuen Straßen. Es basierte auf dem Prinzip des hohen Umsatzes bei niedriger Profitrate. Die Preise wurden fest ausgezeichnet und der Eintritt in das Kaufhaus verpflichtete niemanden zum Kauf.  Der Konsum im Kaufhaus wurde unpersönlicher, da eine Kommunikation zwischen Käufer und Verkäufer, anders als in traditionellen kleinen Läden, nicht notwendig wurde. Das Preisschild ersetzte in gewisser Weise das Verkaufsgespräch.
Die Umgestaltung von Paris unter Baron Hausmann ist ein gutes Beispiel, wie diese neue Stra0ßenform die Struktur und auch das Leben in der Stadt veränderten. Der massive Stadtumbau beginnt mit dem Boulevard de Strasbourg, welcher in gerader Linie (einer Bahnlinie nicht unähnlich) vom Gare de l’Est in die Innenstadt führt. Der Bahnhof wurde zum Brückenkopf für den Verkehr in der Stadt und die (Bahnhofs-) Straße leitete diesen Verkehr weiter. Sie existierte von ihm und für ihn und das unterscheidet sie von der mittelalterlichen Gasse, die der Schauplatz des gemeinschaftlichen Lebens war. (Exkurs: der gerade Boulevard des hausmannschen Paris unterscheidet sich ebenso von der barocken Allee. Zwar sind auch beide gerade angelegt, doch während die Allee auf den Fluchtpunkt zielte, der die königliche Macht repräsentierte, ist der Boulevard in erster Linie gerade, weil er damit am schnellsten von A nach B führt.) Die Eisenbahn und mit ihr der Bahnhof bringen den Verkehr in die Stadt und dieser wird zu einem solch dominanten Faktor, dass er von nun an, für die Planung der Stadt von großer Relevanz wird.
Der Bahnhof wiederum, als Quelle des urbanen Lebens, wie als kaum zu übersehende architektonische Markierung, wurde zu einem – wenn nicht gar dem – städtischen Orientierungspunkt und Wahrzeichen.

Literatur

Parissien, Steven (1997); Bahnhöfe der Welt. Eine Architektur- und Kulturgeschichte;
Eines der wenigen Bücher, die sich insbesondere um Bahnhöfe drehen. Wunderbar bebildert, aber leider sehr aus der britischen Perspektive des Autors beschrieben, der an der einen oder anderen Stelle vielleicht etwas weniger Wertung und mehr Struktur in seine Ausführungen gebracht hätte. Allerdings als Einführung ins Thema wunderbar!

Schivelbusch, Wolfgang (1977); Geschichte der Eisenbahnreise. Zur Industrialisierung von Raum und Zeit im 19. Jahrhundert;
Der Klassiker zur Kulturgeschichte der Eisenbahn. Ein fast schon unverzichtbares Standartwerk, dass Bahnhöfe aber nur am Rande behandelt.

Kubinszky, Mihály (1969); Bahnhöfe Europas. Ihre Geschichte, Kunst und Technik;
Wer sich für europäische Bahnhöfe interessiert kommt an Kubinszky nicht vorbei. Die ersten 65 Seiten geben einen Überblick über die Geschichte des Bahnhofsbaus. Die restlichen 250 Seiten stellen europäische Bahnhöfe dar, wobei ein Schwerpunkt auf Deutschland liegt.

Was ist dekonstruktivistische Architektur?

Woran erkenne ich ein Gebäude des architektonischen Stils des „Dekonstruktivismus“? Das ist eine nicht ganz leicht zu beantwortende Frage, der wir uns in diesem Artikel stellen wollen. Man kann den Dekonstruktivismus als eine Epoche im Bauen ansehen, der irgendwann nach der Zeit der modernen und auch der postmodernen Architektur begann. Ein kurzer Blick zurück: historisch betrachtet ist die alles dominierende Bauform des 20. Jahrhunderts die Moderne, mit ihren klaren Linien, scharfen Kanten, einem Hang zur Internationalität, dem Versuch zeitlos und daher unhistorisch zu bauen und einem strengen Rationalismus. Vom DDR-Plattenbau über das Seagram Building in New York bis zum Loos-Haus in Wien kann man grob vereinfacht von Gebäuden der Moderne sprechen.

Schon nach dem 2.Weltkrieg als die Moderne die alles beherrschende Form des Bauens wurde, entstanden Häuser, die sich diesem Trend entgegen stellten. Bis in die 1970er Jahre hinein war jedoch die Epoche vollkommen wirkmächtig und wenig hinterfragt. Erst in den darauf folgenden Jahren kam es zu Abweichungen und Neuerungen, wie beispielsweise der Postmoderne.
Der Dekonstruktivismus jedoch entstand erst in den 1980ern.  Der Begriff bezieht sich auf eine philosophisch-hermeneutische Methode, die insbesondere in Schriften von Jaques Derrida ausgearbeitet wurden. Ihm ging es um die Dekonstruktion von sprachlichen Systemen, um dort tieferliegende Bedeutungen herauszufiltern. In der Architektur muss man diesen interpretativen Gestus nun in ein gestalterisches Element verwandeln. Dabei orientiert sich die Architektur an der bildenden Kunst, mit ihrem Prinzip der Demontage, das verborgenen Strukturen und Inhalte aufzeigen soll und die Fragmentierung in der heutigen Gesellschaft Ausdruck verschaffen möchte. Vereinfacht könnte man zusammenfassend sagen, der Dekonstruktivismus kann als „Architektur des Aufzeigens von Brüchen“ gedeutet werden.
An dieser Stelle muss allerdings ein Kompromiss der hier vorliegenden Darstellung angezeigt werden. In diesem Artikel verwenden wir das Wort dekonstruktivistisches Bauen weiter, als es architekturgeschichtlich eigentlich vollkommen Korrekt wäre, denn man kann von einer Zweiteilung sprechen; zum einen vom eigentlichen Dekonstruktivismus und zum anderen vom deformativen Bauen.
Die erste Variante ist die etwas ältere Form, welche Kanten, Brüche und Falten beinhaltet und etwas rau wirkt. Die zweite Form zeigt biomorphe Formen und ineinander fließende Flächen an und ist eine Variante des Gestalten von Häusern die heute noch verwendet wird und zunehmende Popularität genießt. Insgesamt kann man sagen dass diese Form der Architektur ein Phänomen der Advangarde ist, die Bildungsbürger gern als Distinktionsmedium benutzen, um zu zeigen was sie kennen und wie viel kulturelles Kapital mal wieder im Einsatz ist (wundern sie sich nicht, verehrter Leser, dieser Artikel macht im Grunde nichts anderes, wenngleich er versucht auch darüber aufzuklären). Gleichzeitig ist es aber eine sehr kostspielige Form des Bauens, die weiterhin darauf ausgelegt ist, Aufmerksamkeit zu erheischen und daher auch als eine Spektakel-Architektur beschrieben werden kann. Jedoch sind diese Faktoren im ökonomischen System unserer Tage durchaus sehr erfolgreich, bedenkt man, dass sich Bauherren für den Erfolg ihres Anliegens auch – allerdings positiv konnotierter – Aufmerksamkeit wünschen und für ein neues Landmarken-Gebäude (also einem Bauwerk, was grob formuliert, heraussticht) gern auch den teuren Namen des Stararchitekten bezahlen und für eine ungewöhnliche Form das Budget auch etwas spreizen. 

Wie kann man sich aber die dekonstruktivistische Architektur genau vorstellen. Ohne Bezug zur Moderne geht dies, wie schon erwähnt, nicht. Die dekonstruktivistische Architektur ist als Gegenpol zur Moderne zu lesen, man kann sogar davon sprechen das sie versucht das Bauen neu zu erfinden, denn sie nimmt sich die Bedingungen von Form, Statik und Funktion und versucht diese zu zerlegen. Die mit der Moderne verbunden Grundsätze der Architektur: den rechten Winkel, das Aufrechte, das Prinzip vom Stütze und Last, Gravitation und Statik sollen hier aufgehoben werden. Dabei ist nicht unbedingt Harmonie erwünscht, sondern der Bruch ist das Ziel: schiefe Wände, scharf geschnittene Formen, Spalten treten auf. Anders als die serielle Produktion der Moderne, die auf billige Reproduktion angelegt wird (was selbstredend natürlich nicht für alle Bauwerke zu verallgemeinern ist, ein Meisterwerk der Moderne, das New Yorker Seagram Building, war das teuerste Hochhaus seiner Zeit) lehnt der Dekonstruktivismus ab. Jedes Bauwerk ist wie ein einzelnes Kunstwerk. Wobei dabei auch in Kauf genommen wird, das sich der Bezug zur Umwelt nicht herstellt. So wirken diese Gebäude wie Mitten in der Stadt gelandete Raumschiffe (siehe dazu der UfA-Kristallpalast in Dresden, der auch noch um 180 Grad falsch eingeparkt wurde. In der Zeit unmittelbar nach seiner Eröffnung war ich Zivildienstleistender in der Nachbarschaft und ich erinnere mich an keinen einzigen alten Menschen, den ich zu betreuen hatte, der auch nur ansatzweise positiv vom neuen Gebäude sprach). Man könnte sagen, der Dekonstruktivismus ist eine Art Anti-Haltung, eine Demontage der modernen Architektur. Er bringt nicht die Häuser zum Schweben (so wie moderne Bauten, beispielsweise bei der Unité in Marseille) sondern sie scheinen in Permanenz einzustürzen. Er sucht bewusst einen Kunstcharakter und trägt symbolhafte Züge in sich.

Dem Dekonstruktivismus geht es visuell um Dynamik, die auch eine Dynamik des Sozialen erzeugen soll, mit einem Durchbrechen des Gewohnten, ohne dabei aber eine spezifische Idee eines neuen Lebens zu haben (wie dies die Moderne noch tat). Es geht diesem Stil nicht um den Aspekt der Problemlösung, sondern um Desillusionierung und Problemveranschaulichung. Man baut das schroffe Gegenteil zum Bestehenden und dabei werden die Gebäude zu Parasiten der europäischen und ebenso modernen Stadt. Es ist eine Architektur die bestehende Muster aufbrechen möchte, die soziale Bewegungen hinterfragt und Aushandlungsprozesse auch als Benutzer der Architektur (nicht nur als Betrachter) erfordert. Gleichwohl ist es eine sehr teure Architektur, dies zusammen mit dem Bruch, den diese Architektur im Stadtbild aufwirft, macht sie nicht umstritten.

Wer mehr zum Thema erfahren möchte, den empfehle ich Hildegard Kretschmers sehr gutes Einführungsbuch zum Thema „Die Architektur der Moderne“. Ebenso Thema, allerdings in verstärkt soziologischer Perspektive ist Heike Delitz Beitrag „Expressiver Außenhalt“ im Sammelband „Die Architektur der Gesellschaft“ von der Autorin gemeinsam mit Joachim Fischer herausgegeben.